Vom Unsichtbaren zur globalen Krise
Berichterstattung zum Klimawandel gibt es viel, meist aktuell und schnell, manchmal wissenschaftlich zu Einzelaspekten. Mit dem Longread „Anatomie einer Katastrophe“ fasst die Süddeutsche Zeitung ausgehend vom Molekül Kohlendioxid die Ursachen und Auswirkungen des Klimawandels zusammen. Zahlreiche Grafiken, erschreckende, gegenwärtige Beispiele und Szenarien für unterschiedlich starke Erderwärmungen machen das abstrakte Thema begreifbar und zeigen auf, dass es sich lohnt, für jedes Zehntelgrad zu kämpfen.
Der One-Pager „Anatomie einer Katastrophe“ ist nominiert für den Grimme Online Award 2020 in der Kategorie „Information“. Im Interview sprechen wir mit Christian Endt über Konzeption und Entscheidung für das Format des One-Pagers, sowie die Gefahr, dass die Klimakrise über die Corona-Pandemie in Vergessenheit gerät.
Es gibt bereits viel Berichterstattung zur Klimakrise und zum Klimawandel. Mit welchem Anspruch sind Sie an Ihr Projekt herangetreten?
Tatsächlich war der Anlass für dieses Projekt, dass es schon so viel Berichterstattung gibt. Weil wir das Gefühl hatten, das Thema ist schon so viele Jahre und Jahrzehnte in den Medien und ist zuletzt noch einmal sehr viel mehr in den Vordergrund gerückt. Durch die Corona-Krise rückt es gerade wieder etwas in den Hintergrund, aber gerade im letzten Jahr war es ja sehr stark in der politischen Debatte. Auch wir bei der SZ haben die Menge der Berichterstattung zu Klimathemen nochmal stark erhöht und hatten trotzdem das Gefühl, dass es einen Bedarf gibt, das Große und Ganze noch mal in aller Ausführlichkeit, gesammelt an einem Ort, und in Ruhe zu erklären. Also quasi einen Artikel zu machen, der immer ergänzend zu dieser laufenden Berichterstattung, in der es um einzelne Forschungsergebnisse oder politische Verhandlungen geht, einen Überblick schafft und den man immer mit dazustellen oder als zeitlose Erklärung benutzen kann.
Wir haben Sie Ihr Projektteam zusammengestellt?
Ich persönlich habe noch nie mit einem so bunt-gemischten, interdisziplinären Projektteam gearbeitet. Das war auch das Spannende in der Entstehung. Wir haben bei der SZ eine Entwicklungsredaktion, das ist ein Team, das schon von vornherein sehr interdisziplinär angelegt ist, wo klassisch-schreibende, aber auch Datenjournalist*innen drin sind, aber auch Leute, die sich mit visuellem Storytelling beschäftigten: Designer*innen, Programmierer*innen, Videofachleute. In dieser Runde kam die Idee zu diesem Artikel auf. Dann haben wir noch Fachkolleg*innen aus dem Wissenschaftsressort hinzugezogen, die bei uns federführend die Klimaberichterstattung machen. So ist dieses Team geboren: die Wissensredakteurin, zwei Datenjournalisten, mehrere Designer- und Grafiker*innen, auch einen Motiondesigner, der Videoanimationen gemacht hat, Programmierer, die das technisch umgesetzt haben und eine Redakteurin, die das ganze Projekt koordiniert und gesteuert hat.
Wie lang haben Sie für das Projekt recherchiert?
Ich glaube, wir haben so drei, vier Wochen dran gearbeitet. Natürlich nicht alle immer in Vollzeit. Teilweise sind die verschiedenen Arbeitsschritte hintereinander, teilweise aber auch gleichzeitig passiert. Aber das war so ungefähr der Rahmen.
Sie haben sich für das Format des One-Pagers entschieden. Warum?
Wir haben uns über die Struktur Gedanken gemacht und kamen auf einen Aufbau, der uns stringent erschien, mit dem wir das Ganze gut durcherzählen konnten. Wir fangen ja an mit einem einzelnen CO2– Molekül, ein winzig kleines, unsichtbares Teilchen, das aber eine unfassbar große globale Veränderung verursacht. Die Idee war, von diesem kleinen Molekül zum Schmelzen der Polkappen und zu diesen ganzen globalen Veränderungen zu kommen. Das war eine Erzählstruktur, die man ganz gut so am Stück erzählen konnte.
Wie empfinden Sie selbst, wenn Sie Ihre zusammengetragenen Daten betrachten?
Ich glaube, wenn man sich den Artikel jetzt anschaut, funktioniert er immer noch ziemlich gut. Er handelt ganz stark von den wissenschaftlichen Grundlagen des Klimawandels und die haben sich ja nicht geändert. Wir haben jetzt gerade eine ganz andere politische Ausgangslage, weil die Corona-Pandemie und die damit verbundene Wirtschaftskrise zu Recht die politische und mediale Aufmerksamkeit dominieren und die Leute ganz stark beschäftigen. Nur ändert das natürlich an der Physik des Klimawandels überhaupt nichts. Die Erderwärmung geht weiter. Momentan vielleicht ein bisschen abgeschwächt durch den lahmgelegten Flugverkehr und den reduzierten Konsum, aber das ist ein kurzzeitiges Phänomen. Das ist, glaube ich, jetzt gerade die große Herausforderung der Bevölkerung oder der Weltgesellschaft, dass wir dieses akute Corona-Problem in den Griff kriegen müssen, ohne dabei das Klimawandel-Problem außer Acht zu lassen. Sonst holt uns das auf brutale Art wieder ein. Und wenn da dieser Artikel ein bisschen als Erinnerung fungieren kann, wäre das eine schöne Sache.
Wie waren die Reaktionen auf Ihr Projekt? Mussten Sie sich mit Klimaleugnern auseinandersetzen?
Die gab’s natürlich, die gibt’s immer, wenn man über diese Themen schreibt. Aber ich habe schon das Gefühl, dass das zwar eine laute, aber doch eine kleine Gruppe ist. Überwiegend gab es positive Reaktionen und Leute, die den Artikel geteilt haben mit dem Appell, das Problem ernst zu nehmen und etwas zu tun.
Ein toller Beitrag für den Klimawandel! ?
??Die SZ-Seite ist wirklich sehr gut aufbereitet und hat die Nominierung auf jeden Fall verdient.