Podcasterin mit Position
Der „Denkangebot Podcast“ beschäftigt sich mit der Frage: „Was ist überhaupt alles Politik?“ Dabei informiert Katharina Nocun mit viel Aufwand über Themen wie Überwachung oder Klimakatastrophe bis hin zu Rechtsextremismus. Die Folgen bieten zwischen anderthalb und drei Stunden Zeit und Material, um mitzudenken. Hierfür spricht die Do-it-Yourself Podcasterin mit vielen Fachleuten und steigt tief in die Quellenrecherche ein.
„Denkangebot“ ist für den Grimme Online Award in der Kategorie „Information“ nominiert. Im Interview erzählt Katharina Nocun über die Entstehung des Podcasts und welchen Herausforderungen sie sich stellen muss.
Was hat Sie dazu animiert diesen Podcast zu beginnen?
Ich würde ganz klar sagen: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist schuld. Ich bin nämlich großer Radiofeature-Fan. Das heißt, wenn andere sich abends vielleicht eine Serie anschauen, dann werkele ich oft an irgendwelchen Sachen rum und parallel dazu höre ich Radiofeatures. Für mich war das immer so eine Art Kopfkino: Man hat Reportagen aus anderen Ländern, dann hört man Dschungelgeräusche, man hört ganz viele unterschiedliche Stimmen. Das ist wie eine große Geschichte. Besonders gut haben mir die Geschichten gefallen, bei denen man einen persönlichen Bezug hatte, wenn beispielsweise eine Reise nacherzählt wurde. Ich dachte: Das wäre ein spannendes Format, um auch politische Inhalte zu vermitteln.
Vor einiger Zeit kam mir der Gedanke einen Podcast zu starten, um vor allem über Digitalisierungsfragen zu sprechen – aber nicht nur. Danach habe ich lange darüber nachgedacht, ob ich einen Gesprächspodcast mache. Aber irgendwie habe ich mich damit nicht wohlgefühlt. Ich bin gerne zu Gast bei anderen, aber ich habe einfach festgestellt, dass das nicht so mein Format ist. An einem Wochenende hatte ich Zeit und dachte zunächst: „Ich nehme den Podcast jetzt so auf, wie ich ihn gerne hätte.“ Sehr schnell musste ich aber feststellen, dass ich erst mal alles Mögliche lernen muss… und ein halbes Jahr später war die Folge dann fertig. Das erste Denkangebot war am Start und zwar zum Thema Polizeigesetze.
Woher kommt der Name ‚Denkangebot‘?
Der Name ‚Denkangebot‘ kommt daher, dass ich mir meistens Themen vornehme, die auch ein bisschen kontrovers sind, zu denen es unterschiedliche Positionen gibt. Für mich ist das eine Art Format, in dem ich eine Stunde, oder manchmal auch über zwei Stunden lang einfach darlege, was meine Sicht auf diese Dinge ist und wie ich dazu komme. Ich spreche hierfür mit vielen Expert*innen, zitiere oft aus Studien oder Büchern und möchte einfach Leuten vermitteln, wie ich eigentlich zu den Positionen komme, die ich in diesem Bereich habe. Das ist eben ein Denkangebot. Wenn jemand aus einer Folge rausgeht und sagt, „Ich sehe das ganz anders“, ist das für mich absolut in Ordnung.
Mir war auch stets wichtig, bei den Podcasts eine klare Position zu beziehen. Es gibt etwa eine Folge zum Thema ‚Hass im Netz‘ und die Idee dazu ist entstanden, als ich morgens aufgestanden bin, im Bett mit meinem Smartphone – was man ja nicht machen soll – meine Emails gecheckt habe und dann war da so eine E-Mail, in der stand: „Liebe Katharina, du niedliche ‚Polackenfotze‘ usw., man müsste mich ins KZ entsorgen und am besten noch vergewaltigen. Solche Nachrichten bekomme ich halt öfters. Natürlich macht das was mit einem. Ich möchte aber auch nicht, dass diese Menschen gewinnen und ich dann verstumme und beispielsweise nicht mehr über Rechtsextremismus spreche. Ich beschloss daher, eine Folge dazu zu machen und hierfür auch mit anderen jungen Frauen in meinem Alter zu sprechen, wie sie das eigentlich erleben. Ich habe beispielsweise Marina Weisband und Ricarda Lang befragt und andere junge Politikerinnen, wie sie das erleben. Da fand ich ganz interessant, dass auch sie allesamt gesagt haben, dass man vor allem als junge Frau deutlich härtere Sachen und deutlich mehr als andere abbekommt. Das war eine besondere Folge, denn ich war selbst betroffen. In solchen Fragen bin ich auch nicht objektiv, aber ich versuche auch nicht so zu tun, als ob. Ich finde, das ist auch eine Geschichte, die auch einmal aus einer persönlichen Betroffenheit heraus erzählt werden muss.
Wie groß ist Ihr Rechercheaufwand pro Folge?
Das werde ich oft gefragt und antworte meistens: Das möchtest du gar nicht wissen! Ich kann tatsächlich gar nicht sagen, wie viel Rechercheaufwand ich in eine Folge stecke, wobei ich dazu sagen muss, dass ich die Folgen immer zu Themen mache, die mich privat interessieren. Da steckt viel Herzblut drin. Ich frage mich nicht, was strategisch gut zu platzieren wäre. Ich hoffe, man hört raus, dass mich all die Themen auch privat umtreiben. Bei einigen Folgen, beispielsweise zum Thema ‚Überwachung Made in China‘, habe ich extra dafür fünf Bücher und unzählige Zeitungsartikel gelesen. Der Recherche-Aufwand beträgt manchmal mehrere Wochen.
Ich spreche pro Folgen mit ungefähr fünf Expert*innen, manchmal auch mit mehr, und jedes Gespräch dauert zwischen einer halben und anderthalb Stunden. Aus diesen Gesprächen nehme ich auch ganz viel mit, was nicht oder nur indirekt in der Folge landet. Die vielen O-Töne versuche ich in eine große Geschichte einzuweben. Es lässt sich schwer sagen, wie viel Zeit in jeder Folge steckt, aber es ist auf jeden Fall viel zu viel, mehr, als man eigentlich verkraften könnte. Aber ich mache es so gerne und habe auch bei jedem Thema das Gefühl, dass es mir wichtig ist. Deshalb möchte ich, dass jedes Thema möglichst gut und vollständig dargelegt wird. Mir macht es Spaß zu recherchieren, von daher ist das nicht so eine große Strafe für mich, fünf Bücher zum Thema Überwachung in China durchzulesen. Der Rechercheaufwand wird auch in Zukunft nicht weniger werden. Gerade arbeite ich an einer Folge zum Thema Corona und weiß schon jetzt, dass es viel Arbeit werden wird. Aber das ist es mir auch wert und das muss es auch sein bei solchen Themen.
Die Folgen sind also Herzensprojekte? Wie entscheiden Sie sich für die Themen?
Das Thema ‚Polizeigesetze‘ in der ersten Folge war der Auslöser für mich überhaupt einen Podcast zu starten. Damals haben zahlreiche Bundesländer ihre Polizeigesetze novelliert und in den Entwürfen standen äußerst problematische Sachen drin. In einigen Bundesländern wurde gesagt, wir wollen auf Smartphones von Verdächtigen zugreifen können, die Videoüberwachung wurde ausgeweitet und der Begriff ‚drohende Gefahr‘ wurde in Bereichen als Voraussetzung für Eingriffe eingeführt, wo er vorher nicht galt. Die Hürde dafür, ab wann die Polizei präventiv eingreifen darf, wurde herabgesetzt. Ich fand das hochproblematisch und wollte dazu eine Folge machen. Gleichzeitig habe ich gemerkt, ich bin Teil dieser Geschichte. Das Protest-Bündnis in Bayern hat mich dann eingeladen bei einer Pressekonferenz gegen das bayerische Polizeiaufgabengesetz zu sprechen. Nebenbei habe ich Interviews mit anderen Gästen der Pressekonferenz aufgenommen, die auch ganz andere Perspektiven zur Geschichte beisteuerten. Eine Aktivistin, die im Bereich Kirchenasyl aktiv ist, sagte mir, dass das Thema meistens eher mit linken Gruppen assoziiert werde, dabei machten sich kirchliche Gruppe ebenfalls Sorgen, dass die Polizei aufgrund der neuen Befugnisse Zugriff auf Daten von Menschen aus dem Kirchenumfeld bekommt, die sich für Geflüchtete einsetzen. Das passiert mir übrigens ganz oft, dass ich selbst Teil der Geschichte werde. Ich mache eben nicht nur einen Podcast zum Thema Überwachung in China und Protest in Hongkong, sondern stehe dann ein paar Wochen später vor dem Kanzleramt bei einer Solidaritätsaktion von Exil-Hongkongern. So ist das oft. Vielleicht ist das aber auch wichtig, um zu transportieren, was für einen Bezug ich zu dem Thema habe.
Welche Zielgruppe wollen Sie mit ihrem Podcast erreichen?
Über Zielgruppen habe ich mir gar nicht so viele Gedanken gemacht. Viele professionelle Podcaster machen vorher ein Konzept, wer ist die Zielgruppe, wie sollte die Sprache und Bildsprache des Podcasts sein… Da war ich hochgradig unprofessionell und hab das alles nicht gemacht. Ich wollte etwas machen, das mir gefällt, das ich gerne hören würde und war mir sicher, dass das dann auch andere hören wollen werden. Die Zielgruppe sind einfach all diejenigen, die so eine Art Nerd-Ader haben wie ich. Menschen, die sich für ein Thema interessieren und deshalb erst mal fünf Bücher dazu kaufen um sich darin zu vertiefen. Manchmal hat man aufgrund von Familie oder Job nicht mehr die Zeit, diese Ader auszuleben und da bietet dann mein Podcast eine kleine Abkürzung: „Ich lese die fünf Bücher für euch und erzähle, was ich erfahren habe.“
Welche Reaktionen haben Sie bisher erhalten?
Von den Reaktionen war ich absolut überwältigt. Es gibt ja schon tausende Podcasts und ich war der Meinung, meiner interessiert wahrscheinlich keinen. Dann habe ich aber sehr schnell Kontakt zu der wunderbaren, offenen Podcaster-Community in Deutschland gehabt. Mein Podcast wurde häufig in anderen Podcasts aus dieser Community empfohlen. Ich bin sehr dankbar für diese Unterstützung, weil ich sonst nicht so schnell so viele Hörer gefunden hätte. Ich bin wirklich begeistert über die hiesige Podcaster-Community. Es gibt Events, auf denen man sich trifft, man hilft sich, man tauscht Techniktipps aus, man empfiehlt sich weiter. Das habe ich als sehr bereichernd empfunden.
Werbung in meinem Podcast lehne ich fundamental ab. Ich musste aber dann irgendwann natürlich überlegen, wie ich das langfristig finanziere, denn in jeder Folge stecken mehr als zwei Wochen Vollzeitarbeit – wahrscheinlich sogar mehr. Deshalb habe ich irgendwann am Ende jeder Folge gesagt: „Es wäre cool, wenn ihr etwas in den Hut werft.“ Das haben einige Leute gemacht und einige haben sogar Daueraufträge eingerichtet. Irgendwann ist mir aufgefallen, dass die Leute im Überweisungsbetreff total schöne Botschaften hinterlassen. Beispielsweise: „Ich habe innerhalb von einer Woche alle Folgen gehört!“ Oder jemand schrieb: „Ich habe in China gearbeitet, total toll, wie du das Thema aufbereitet hast. So würde ich es auch beschreiben und du hast mir viel erzählt, was ich selbst noch nicht wusste.“ Das ist für mich eine große Motivation, dieser positive Druck, dass da ganz viele Leute sind, die sich sonntags mit einem Kaffee im Garten oder beim Spaziergang die neue Folge anhören. Mich macht das glücklich, wenn ich weiß, dass jemand zwei schöne Stunden mit meinem Podcast verbracht und etwas dabei gelernt hat.
Wie geht es mit dem Denkangebot Podcast weiter?
Die Zukunft vom Denkangebot steht natürlich in den Sternen, ich habe keinen großen Strategieplan. Als Frau, die allein podcastet, werde ich oft gefragt, wer bei der Technik geholfen hat, das höre sich ja fast wie öffentlich-rechtlicher Rundfunk an. Manchmal frage ich mich schon, ob meine männlichen Kollegen das auch so oft gefragt werden. Ich habe mir alles selbst beigebracht. Welches Mikrofon und Schnittprogramm ich benutzen muss, wie man die Audiospur bearbeitet. Von Folge zu Folge habe ich mich immer mehr in die Feinheiten von Audiobearbeitung eingearbeitet. Natürlich haben mir Menschen Tipps gegeben. Aber vieles war auch Learning-by-Doing. Heute habe ich Kontakt zu Künstlern, die mir beispielsweise für die neue Folge extra Stücke umkomponieren oder gar ganz neue Werke schaffen. Der Podcast entwickelt sich also ständig weiter. Es ist auch sehr motivierend, dass sich teilweise professionelle Tontechniker bei mir melden und mir den ein oder anderen Kniff verraten, den ich dann selbst umsetzen kann. Ich habe das Gefühl, das ‚Denkangebot‘ wächst vor allem, weil es Menschen gibt, denen es gefällt und die den Podcast weiterempfehlen. Das ist hochgradig motivierend.
Das Interview wurde geführt von Marie Jakob und Helen Dreyhaupt.
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