Mehr als ein „Schreckgespenst“

Screenshot der Titelseite des Blogs "Alzheimer und Wir"
Titelseite des Blogs "Alzheimer und wir".
Screenshot „Alzheimer und wir“

In ihrem Blog „Alzheimer und wir“ erzählt Peggy Elfmann, deren Mutter an Alzheimer erkrankt ist, aus dem Leben einer Angehörigen. In Briefform analysiert sie, wie sich die Beziehung zu ihrer Mutter verändert hat, beschreibt den Umgang ihrer Kinder mit der Krankheit und bietet einen Ankerpunkt für andere Angehörige. Ein rührender und wichtiger Einblick in eine Familie in einer schwierigen Situation – die aber viele betrifft.

“Alzheimer und wir“ ist für den Grimme Online Award in der Kategorie „Wissen und Bildung“ nominiert. Im Interview erzählt Peggy Elfmann die Entstehungsgeschichte des Blogs und von den Herausforderungen, vor die sie das Schreiben über persönliche und emotionale Inhalte stellt.

Was war der Anlass für „Alzheimer und Wir“?

Meine Mama hat die Diagnose Alzheimer vor bald neun Jahren bekommen und seitdem beschäftigt mich das Thema Alzheimer privat. Davor hatte ich nur beruflich immer mal wieder damit zu tun. Anfangs ging es meiner Mutter noch lange gut, man hat die Symptome zunächst nicht bemerkt, aber das ist natürlich ein fortschreitender Prozess und es treten immer wieder neue Symptome auf. Ich habe mich immer weiter damit beschäftigt und gemerkt, wie sehr mich das als Tochter tangiert. Ich war auf der Suche nach Hilfe oder wollte viel darüber lesen und war dann ein bisschen enttäuscht, dass es gar nichts gibt. Ich habe in Foren mal ein, zwei Einträge gefunden, aber nichts Kontinuierliches oder etwas, wo man sich emotional abgeholt fühlt. Dann habe ich das eine Weile mit mir herumgetragen und irgendwann gedacht, wenn es nichts gibt, schreib ich es einfach selbst.

Eigentlich ging es darum, darzustellen, wie es ist: Diese Betroffenheit als Angehörige und der Umgang damit. Und auch darum, dass es nicht nur ein Schreckgespenst ist, sondern, dass es auch ganz viele schöne Momente gibt und viele, die man nicht erwartet hätte. Ich wollte zeigen, wie das ist, zum einen mit Alzheimer zu leben, aber auch, wie es mir damit geht, die Zwiespältigkeit, die ich erlebe.

Was bedeutet der Name?

Ich habe damals darüber nachgedacht, worum es geht, was wichtig ist. Natürlich Alzheimer, aber es ist ja nicht nur Alzheimer. Mir lag viel daran, für die Angehörigen zu sprechen oder aus der Sicht einer Angehörigen. Die Diagnose Alzheimer, die bekommt der Mensch mit Demenz vom Arzt, aber da steckt ja viel mehr dahinter. Das sind die Familie, die Freund*innen, die Nachbar*innen, die Arbeitskolleg*innen, ganz viele, die auch davon betroffen sind und damit besser oder schlechter umgehen können. Deswegen meine ich mit „Alzheimer und wir“ ganz viele Menschen, die dazu einen Bezug haben und denen es guttut, darüber zu sprechen und zu lesen.

Screenshot vom Blog "Alzheimer und wir". Darauf zu sehen ist ein Foto von Peggy Elfmann mit ihrer Mutter und die Überschrift des Blogartikels "Liebe Mama, wann werden wir uns wiedersehen?"
Screenshot „Alzheimer und wir“

Mit welchem Ziel schreiben Sie ihr Blog?

Das Ziel ist es, Einblicke darüber zu geben, wie es tatsächlich ist, Alzheimer zu haben. Viele verbinden mit Alzheimer nur Dinge zu vergessen oder sich nicht mehr erinnern zu können, wo der Schlüssel oder Geldbeutel ist. Aber es gehen auch andere Dinge mit der Krankheit einher. Man verlernt ganz normale Tätigkeiten. Bei uns ist gerade aktuell, dass beim Treppensteigen Unsicherheit und Angst entsteht. Da denkt man, dass das nicht sein kann, das muss die Person doch können. Ich möchte zeigen, dass ganz viele Sachen dahinterstehen, aber nicht belehren. Ich bin keine Ärztin oder Expertin. Ziel ist es, Momentaufnahmen zu schildern: Was passiert alles mit der Krankheit, vor welchen Herausforderungen steht man als Angehöriger und wie geht es einem emotional, aber auch welche Umgangsmöglichkeiten gibt es.

Es gibt nicht die eine richtige Therapie oder ein Medikament, das man nimmt und es ist alles gut. Sondern es gibt viele verschiedene, kreative Umgangsmöglichkeiten. Das hängt natürlich auch davon ab, wie der erkrankte Mensch war, wie er gelebt hat. Ich versuche andere zu ermutigen und einen Einblick und Tipps zu geben, wie man mit der Krankheit umgehen kann.

Warum das Format des Blogs?

Das war auch ein bisschen Neugier und der Wunsch etwas Begleitendes, Regelmäßiges zu schaffen. Man könnte natürlich auch eine Kolumne in einer Zeitschrift schreiben, aber mit einem Blog ist man näher dran an den Menschen, man hat die direkte Möglichkeit sich auszutauschen. Anfangs dachte ich, Alzheimer und Social Media geht gar nicht, aber es findet ein zunehmender Austausch statt. Ich finde es ganz wichtig, dass man dieses schwere Thema dort aufnimmt, denn da sind ganz viele Menschen, die das interessiert und die sich darüber austauschen wollen. Und natürlich ist ein Blog für mich als Privatperson eher machbar.

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Das Thema ist sehr persönlich und emotional. Was sind die größten Herausforderungen für Sie bei der Veröffentlichung?

Manchmal ist es wirklich sehr, sehr emotional und auch sehr viel Einblick in mein privates Leben. Am Anfang hatte ich großen Respekt davor, mich überhaupt so weit zu öffnen. Aber ich stehe dazu und sage: So denke ich. Es kann natürlich sein, dass andere das ganz anders sehen oder das blöd finden. Es gab also schon eine Hemmschwelle die eigenen Gedanken, Erfahrungen, Probleme und auch Unzulänglichkeiten nach außen zu kehren.

Es ist auch viel Reflexion. Manchmal muss ich auch eingestehen, dass ich nicht immer ideal gehandelt habe und das mache ich auch jetzt noch nicht. Man setzt sich natürlich auch den Kommentaren anderer Menschen aus. Aber ich finde es auch sehr beruhigend, dass es vielen genauso geht. Das motiviert mich. Doch auch jetzt muss ich bei besonders emotionalen Beiträgen noch kurz einmal innehalten und tief Luft holen, bevor ich auf „Veröffentlichen“ drücke.

Auf dem Screenshot des Blogs ist der Blogpost "Kinderbücher über Alzheimer im Check" zu sehen.
Screenshot „Alzheimer und wir“

Sie erzählen in einem Beitrag, dass sie Briefe an ihre Mutter schreiben und ihr Vater sie ihr vorliest. Liest Ihr Vater auch das Blog?

Unregelmäßig, weil mein Papa wirklich überhaupt nicht technik-affin ist. Ich habe ihm damals erklärt, dass ich ein Blog schreiben möchte, da hat er gesagt, ich soll mal machen. Dann habe ich es ihm natürlich geschickt, aber er hat nicht viel gelesen, glaube ich. Ich habe ihm dann – ganz oldschool – Beiträge ausgedruckt und zu einem kleinen Büchlein gebunden. Das hat er gleich zwei Mal gelesen und war sehr berührt. Das ist ja eigentlich seine Geschichte, das fand ich dann auch wieder sehr ergreifend. Also er liest es und findet es gut, das öffentlich zu machen. Ich habe ihn natürlich auch gefragt, ob Mama das wollen würde und wir waren uns sicher, dass es gut und richtig ist, darüber zu sprechen und sich auszutauschen.

Wie sind die Reaktionen auf ihr Blog?

Die sind sehr schön. Ich bekomme Zuschriften auf dem Blog als Kommentare, manchmal als Mails oder auf Instagram und Facebook von anderen Betroffenen, die sich bedanken und sich verstanden fühlen. Manche schreiben auch, dass sie den Blog im Nachhinein lesen und sich wünschen, sie hätten das damals gewusst, dann wären sie geduldiger gewesen. Sehr viele Kommentare gehen in die Richtung, dass die Menschen genauso fühlen, ihre Gedanken aufgeschrieben sehen und dankbar sind, dass diese Dinge mal besprochen werden.

Wie sieht die Zukunft ihres Blogs aus?

Ich werde erst mal weiterschreiben und würde das gerne etwas ausbauen. Zurzeit arbeite ich auch an einem Buch zu dem Thema.

Ein Screenshot des Zoom-interviews von Peggy Elfmann.
Screenshot Zoom: Peggy Elfmann im digitalen Interview zu „Alzheimer und wir“
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