Keine Scheu vor Debatten
Während das Thema der Sicherheits- und Verteidigungspolitik in den klassischen Medien gerade erst seinen Platz findet, diskutieren im Podcast „Sicherheitshalber“ vier Expert*innen regelmäßig über internationale oder spezifisch Deutschland betreffende, sicherheitspolitische Themen. Dabei werden die komplexen Themen auch für Laien zugänglich und unterhaltsam.
„Sicherheitshalber“ ist für den Grimme Online Award 2020 in der Kategorie „Information“ nominiert. Im Interview erzählt Ulrike Franke, eine der vier Expert*innen, warum im Podcast auch mal gelacht wird und wie sie mit abweichenden Meinungen von Zuhörer*innen umgeht.
Wie kam es zur Entstehung von „Sicherheitshalber“?
Sicherheitshalber war ein Herzensprojekt und ist es auch immer noch. Es kam dazu, dass wir vier, die ja „Sicherheitshalber“ machen, also Thomas Wiegold, Carlo Masala, Frank Sauer und ich, alle der Meinung waren, dass Sicherheitspolitik und Verteidigungspolitik in der deutschen Debatte zu wenig oder nicht tiefgehend genug besprochen werden. In den klassischen Medien ist es oft so, dass nicht viel Zeit dafür da ist und gerade in der Verteidigungspolitik sind die Themen etwas komplexer und man muss ein bisschen weiter ausholen. Teilweise gibt es aber auch nicht die Expertise und da dachten wir uns, das wollen wir ändern. Wir haben uns ein bisschen an Podcasts aus anderen Ländern orientiert, gerade im englischsprachigen Raum gibt es da einige. Wir wollten ganz dezidiert einen Podcast machen, der Informationen liefert, in dem es aber auch Diskussionen gibt. Wir freuen uns also auch über Widerspruch und versuchen verschiedene Positionen einzunehmen. Wir sind uns häufig auch selbst nicht einig und das sind dann auch die besten Folgen, weil es eine Diskussion gibt. Unser Ziel ist es einfach, eine sicherheitspolitische Debatte in Deutschland etwas mehr zu verankern und Informationen, Fakten und Meinungen zu untermauern.
Wie ist das Team zusammengekommen?
Das kam ganz organisch zusammen. Es gibt in Deutschland eine kleine, aber feine sicherheitspolitische Community mit einer Handvoll Leuten und in dieser Community kam die Debatte auf, dass wir doch einen Podcast bräuchten. Und wir vier haben uns dann zusammengefunden. Wir kannten uns zum Teil schon vorher, allerdings auch nicht alle unbedingt so gut. Carlo Masala und Frank Sauer arbeiten seit Jahren gemeinsam an der Bundeswehr-Universität in München und kennen sich schon lange. Thomas Wiegold macht das Blog „Augen geradeaus!“. Das ist das sicherheitspolitische Blog in Deutschland. Deswegen kannten wir ihn alle und er uns eigentlich auch. Ich kannte ihn spezifisch dadurch, dass Thomas ein Buch über Drohnen geschrieben hat, was auch mein Forschungsgebiet ist. Frank wiederum kannte ich aus anderen Arbeitsgruppen. Wir kannten uns also alle ein bisschen unterschiedlich gut und letztendlich waren wir vier die, die das Projekt aufgegriffen haben und gesagt haben: „Wir finden, dass das wichtig ist und lass uns das einfach mal versuchen.“ Und dann haben wir uns zusammengesetzt, überlegt, wie kann man das machen? Schließlich haben wir die erste Folge aufgezeichnet und gesehen, dass es da ein großes Interesse gab und weiterhin noch gibt, das auch noch weiterwächst. Wir machen „Sicherheitshalber“ seit fast zwei Jahren und es macht weiterhin irre Spaß. Wir kriegen zudem immer mehr Zuhörer*innen und das ist natürlich auch eine schöne Bestätigung.
In der Beschreibung Ihres Podcasts steht „Die Zeiten sind vorbei, in denen die Bundesrepublik sich im Bereich der Sicherheit uneingeschränkt auf andere verlassen konnte.“ Was ist damit gemeint?
Das bezieht sich natürlich auf den Ausspruch von Angela Merkel, die vor einigen Jahren genau das so gesagt hat. Es geht darum, dass wir uns seit mindestens 2014, wahrscheinlich aber auch schon davor, in einem Wandel befinden und die Zeiten, in der die bisherige Haltung der Bundesrepublik ist, dass man sich, soweit es irgendwie geht, aus Sicherheits- und Verteidigungspolitik raushält und viel die anderen, die Amerikaner, die Nato, andere Verbündete machen lässt, etwas vorbei sind und dass wir uns genau deswegen mit Sicherheits- und Verteidigungspolitik mehr befassen und uns klarer machen müssen: Was wollen wir eigentlich? Was können wir? Und was müssen wir können? Gibt es Fähigkeiten, die wir noch aufbauen müssen für den Fall, dass sich in naher Zukunft noch einiges ändert, was zum Beispiel das Bündnis mit den Amerikanern angeht oder was zukünftige stärkere Verbindungen mit den anderen Europäern angeht?
Woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass die deutsche Sicherheits- und Verteidigungspolitik trotzdem vergleichsweise wenig in deutschen Medien thematisiert wird?
Ich würde sagen, Sicherheitspolitik findet schon zunehmend auch Resonanz in den klassischen Medien. Es wird schon mehr ein Thema, einfach weil es wichtiger wird. Insofern gibt es da auch eine größere Bereitschaft zu diskutieren, würde ich sagen. Es ist allerdings tatsächlich so, dass im internationalen Vergleich in Deutschland der ganze Themenkomplex einfach nicht so goutiert wird. Das hat viel mit unserer Vergangenheit und damit zu tun, dass die deutsche Gesellschaft tatsächlich sehr anti-militaristisch und zum Teil fast pazifistisch eingestellt ist. Es ist auch eine Folge daraus, dass es nicht unendlich viele Experten gibt und das gerade eben auch bei den Medien. Es gibt im Vergleich in Deutschland weniger Journalisten, die sich auf Sicherheits- und Verteidigungspolitik spezialisiert haben als in anderen Ländern. Ich sitze ja in England, in London, und hier ist das anders. Deswegen ist das Thema eben auch größer in den englischen Medien. Ich sehe aber eine langsame Veränderung, einfach weil wir ja auch in der internationalen Situation mehr über Sicherheitsfragen reden müssen.
Woran orientiert sich dementsprechend die Themenauswahl der Folgen?
Wir machen in der Regel zwei Themen plus am Ende noch vier sogenannte Sicherheitshinweise. Das sind vier kleine Themen, die wir noch kurz ansprechen wollen, ohne sie groß zu diskutieren. Die zwei Themen suchen wir in der Regel so aus, dass wir ein größeres, in der Regel eher internationales Thema und ein teilweise etwas kleineres, spezifisch Deutschland oder die Bundeswehr betreffendes Thema haben.
Das ist die ganz große Vorgabe. Da kommt es ein bisschen drauf an, wie die Nachrichtenlage ist. Wir versuchen natürlich auch, soweit es möglich ist und sobald es Sinn macht, mit den aktuellen Nachrichten zu gehen. Wir hatten zuletzt eine Folge über die nukleare Teilhabe, weil das gerade groß diskutiert wird. Die nächste wird zum Thema Drohnen sein, weil gerade heute eine große Debatte dazu stattfindet. Manchmal ist es ganz offensichtlich: Es muss z. B. über Syrien geredet werden oder es muss über dieses Bundeswehr-Thema geredet werden. Manchmal ist es auch ruhiger und dann suchen wir die Themen danach aus, was wir spannend finden oder was angefragt wird. Es kommen nämlich inzwischen ziemlich viele Zuschriften, die z.B. sagen: „Könnt ihr auch mal über Russlands militärische Fähigkeiten reden?“ Und dann packen wir es da rein, wo es tagespolitisch gerade nichts gibt.
Welche Zielgruppe wollen Sie erreichen?
Da haben wir auch lange darüber diskutiert. In meinem Kopf ist die Zielgruppe immer so jemand wie meine Mutter. Das soll heißen jemand, der grundsätzlich Medien konsumiert und auch informiert ist, was deutsche Politik grundsätzlich angeht, allerdings kein spezielles Wissen und auch vielleicht nicht mal unbedingt größtes Interesse an Sicherheits- und Verteidigungspolitik mitbringt. Und wir wollen einen Podcast machen, der zugänglich ist für eine informierte Öffentlichkeit. Wir versuchen spezifisch auch keinen Podcast zu machen, wo man irre viel Vorwissen braucht. Teilweise ist es ein bisschen schwierig. Wir vier sind natürlich in der Thematik und da rutscht einem schon mal so eine Abkürzung durch. Aber dann gehen wir zurück und sagen: „Moment, das müssen wir erst mal erklären, was das eigentlich ist.“ Grundsätzlich ist das Ziel die informierte Öffentlichkeit und nicht reine Spezialisten. Wobei wir hoffen, dass die Spezialisten der sicherheitspolitischen Community in Deutschland auch etwas mitnehmen können, weil dann Details drin sind, die sie vielleicht noch nicht gehört haben, oder Themen besprochen werden, in denen sie jetzt auch noch nicht bewandert sind.
Wie viele Frauen sehen Sie denn sonst auf dem Feld der Sicherheits- und Verteidigungspolitik?
Ich würde sagen mehr, als die meisten denken. Und ich würde sagen, gerade in Deutschland haben wir einige, wirklich fantastische Frauen im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Und ich saß auch schon mehrfach auf Panels, auch deutschsprachigen Panels, wo mehr Frauen waren als Männer. Ich würde auch sagen, die Zahl steigt durchaus wegen Initiativen wie „WIIS – Women in International Security“ an. Das ist so eine Vereinigung für Frauen, die in diesem Bereich arbeiten. Es ist aber in der Tat so, und das spiegelt sich auch ein bisschen in den Zuschriften wider und darin, wer uns auf Twitter folgt etc., dass das Thema noch eher männlich dominiert ist. Ich würde behaupten, es gibt einen langsamen Wandel, und es ist nicht so klar eine Männerdomäne, wie manche denken.
Ihnen ist wichtig, auch Spaß am Thema zu vermitteln. Warum?
Das ist uns in der Tat extrem wichtig. Wir haben von Anfang an gesagt, wir machen keinen Lehr-Podcast. Es soll auch nicht der erhobene Zeigefinger sein. Das hat zwei Gründe: Erstens ist es einfach netter anzuhören. Wenn man eine Stunde Podcast hört und den Eindruck hat, man sitzt in einer Vorlesung, dann ist das oft einfach nicht schön. Deswegen wollten wir auch einen gewissen Unterhaltungswert haben. Und der zweite Grund ist, es soll ja auch für uns interessant sein. Manchmal sind ja auch fachfremde Leute fast etwas schockiert oder finden es nicht so gut, wenn wir teilweise auch im Podcast lachen, weil sie sagen, das sind doch ernste Themen. Im Zweifelsfall geht es ja tatsächlich auch um Themen, wo Menschen sterben und wo es wirklich um Leben und Tod geht. Für uns ist das aber natürlich unser tägliches Brot. Wir beschäftigen uns mit diesen Themen die ganze Zeit. Aber natürlich, das betonen wir auch mehrfach, lachen wir natürlich nie über die Ernsthaftigkeit, über die Tragik der Themen. In der Regel lachen wir, ehrlich gesagt, über uns. Wir lachen, wenn wir Sachen besonders absurd erklären oder auch nicht. Wir lachen über gewisse Komik, die entsteht. Wir lachen natürlich nicht über Tod und Verletzungen. Es sind ernste Themen, die diskutieren wir auch ernst. Aber es soll sowohl für uns als auch für die Zuhörer irgendwie auch unterhaltsam sein. Ich hoffe, die Balance kriegen wir hin.
Welche Reaktionen bekommen Sie denn?
Das meiste Feedback, was wir bekommen, ist sehr positiv oder eben auch konstruktive Kritik und auch viel Debatte. Wir führen die Debatte eigentlich über drei Kanäle, vor allen Dingen über Twitter, über das Blog „Augen geradeaus!“ von Thomas, wo die Folgen auch online gestellt werden und dann über E-Mail. Es gibt natürlich auch einige Zuschriften oder einige Zuhörer, die der Meinung sind, dass diese Themen tatsächlich gar nicht diskutiert werden sollen. Es gibt ganz selten von einigen Leuten, die dem Militär ein bisschen abgeneigt gegenüberstehen, eine Fundamental-Kritik, weil sie der Meinung sind, dass das einfach kein gutes Thema ist. Und dann gibt es eben immer mal wieder auch Leute, die sagen, wir diskutieren zu flapsig oder die einfach unsere Meinung nicht teilen. Gerade letzteres finden wir aber natürlich absolut super. Ich freue mich über jede Zuschrift, die sagt: „Interessante Folge, aber ich bin ganz anderer Meinung.“ Das haben wir eigentlich sehr gerne. Grundsätzlich sind die Reaktionen allerdings positiv. Viele freuen sich auch einfach, dass es so einen Podcast gibt, der informiert und fragen dann auch nach vielen Themen, die wir noch diskutieren sollen. Wir haben ein ganzes Dokument mit Themen, wie in Zukunft diskutiert werden sollen. So bald geht uns der Diskussionsstoff auch nicht aus.
Das Interview führten Marie Jakob und Helen Dreyhaupt
Dr. Franke und ihre Mitstreitenden treffen mit Sicherheitshalber nicht nur den Zahn der Zeit, sondern auch noch eine absolute Leerstelle im Podcast Universum. Jetzt könnte man meinen ,,besser als nichts“, jedoch würde man damit völlig falsch liegen.
Sicherheitshalber ist für mich als Studierender, welcher sich für einen generalistischen politikwissenschaftlichen Studiengang entschieden hat das beste was mir mit dem Anfang des Studiums hätte passieren können. Jeder Podcast ist für mich das Seminar, welches mir alles an die Hand gibt was ich an Grundwissen brauche, aber auch auf Details eingeht und weiter verweist, wenn ich mehr wissen will. Es sind immer Quellen und Literatur mit dabei, so wie auch neue Denkanstöße, unterschiedliche Perspektiven und die Vorfreude aufs nächste Mal.
Sicherheitshalber verbindet wissenschaftliche Methoden, journalistische Neugier und Erfahrung mit dem Spaß an der Materie.
Jedes Lob wäre nicht hoch genug, der Grimme Award nur angemessen.