Diagnose: Falschinformation
In der Masse von Informationen zu Gesundheit, neuen Arzneimitteln und Therapien ist es schwer, verlässliche Inhalte zu erkennen. Das Team von „MedWatch“ scannt das Netz nach gefährlichen und unseriösen Heilsversprechen und analysiert diese in ausführlichen und verständlichen Berichten.
„MedWatch“ ist für den Grimme Online Award in der Kategorie „Information“ nominiert. Im Interview reden die Gründer Nicola Kuhrt und Hinnerk Feldwisch-Dentrup über die Entstehung des Blogs und die Recherche und Aufklärung, die sie auf MedWatch betreiben.
Was hat sie persönlich dazu animiert, MedWatch zu gründen und zu betreiben?
Nicola Kuhrt: Da muss ich ein bisschen weiter ausholen. Es war so, dass wir beide lange schon als Wissenschaftsjournalisten gearbeitet und viele Geschichten aus dem Bereich Medizin gemacht haben. Wir haben auch beide immer mal Geschichten gehabt, wo wir Skandale aufgedeckt haben. Dann gab es bei der Veröffentlichung meist großen Aufschrei und durchaus Reaktionen, die dann aber verpufft sind. Das Problem war, dass die Änderung, die eigentlich hätte folgen müssen, nicht gekommen ist. Wenn man dann in den Recherchen auch die Schicksale der Menschen mitbekommt, ist das irgendwie mies und das hat uns beide sehr beschäftigt. In einem Telefonat haben wir uns darüber unterhalten und irgendwie war da die Idee geboren. Dass wir was machen und weiter recherchieren und das eben auch publizieren, damit Leute das lesen können. Diese Geschichten werden meistens in den großen Redaktionen nicht gerne genommen und dann haben wir uns gedacht, dann machen wir es eben selbst. Das war der Zündfunke zu sagen, wir machen MedWatch.
Hinnerk Feldwisch-Dentrup: Ein Schwerpunkt bei uns ist eben das Internet. Wir haben gemerkt, dass Geschäftemacher oder Menschen, die sagen, sie hätten medizinische Erfahrung, die Hoffnung von Patienten in Sozialen Medien, in Facebook-Gruppen, ausnutzen. Beispielsweise werden Therapien beworben, die Patienten eigentlich nur schaden. Journalisten haben nicht die Zeit und Möglichkeit, das systematisch anzugucken und auch die Behörden nicht, weil sie auf Facebook so gut wie nie unterwegs sind.
Nicola Kuhrt: Damit war die Idee da und es ging Schlag auf Schlag. Wir haben lange einen Namen überlegt und wie wir es machen sollen. Dann wurde von Netzwerk Recherche e.V. das Grow-Stipendium ausgeschrieben und da haben wir uns beworben und gesagt, wenn die uns nehmen, machen wir’s! Sie haben uns genommen und dann waren wir natürlich in der Pflicht. Wir haben da viel Unterstützung bekommen: ein Netzwerk und 2000 Euro. Wir haben eine gemeinnützige UG gegründet, eine kleine GmbH. Wir sind dann mehr oder weniger im Januar 2018 so richtig gestartet mit einem kleinen Blog.
Wie wählen sie die Themen aus?
Hinnerk Feldwisch-Dentrup: Wir gucken uns an, was in Sozialen Medien insbesondere, aber nicht nur, an problematischen Heilsversprechen verbreitet wird und was Patienten tatsächlich schaden oder auch zu einer Verunsicherung in Bezug auf wissenschaftsbasierte Medizin führen kann. Unser Ziel ist es, Neues zu finden. Wenn also viele Medien sowieso an einem Thema dran sind, dann setzen wir uns nicht unbedingt auch daran, wenn wir nichts Neues beitragen können. Das bringt dann nichts und damit würden wir unsere Ressourcen verschwenden. Wir recherchieren eben zu Themen, bei denen wir denken, dass wir was Neues beisteuern können und wo Patienten tatsächlich geholfen werden kann.
Nicola Kuhrt: Relativ schnell, und das hat uns selbst überrascht, war es so, dass Leute auch ihre eigenen Fragen geschickt haben. Wir waren von Anfang an auch auf Facebook und Twitter unterwegs, da kam dann relativ schnell bei Beiträgen über seltsame Therapien und Wunderheiler der Hinweis: Frag mal bei MedWatch nach! Das ist dann alles bei uns direkt im Briefkasten gelandet. Das war super, weil wir gemerkt haben, dass da ein Bedarf ist und die Leute das auch annehmen. Aus diesen Vorschlägen, die wir da bekommen, die bestimmt auch bis 2033 reichen würden, machen wir hin und wieder auch unseren MedWatch-Check. Zuletzt haben wir da über Heilsteine gesprochen und untersucht, warum man die ins Wasser wirft und was das bringen soll. Das war eine Leseranfrage, der wir nachgegangen sind.
Wie viel ihrer Zeit steckt in der Recherche? Wie viel Recherche steckt in MedWatch?
Nicola Kuhrt: 100%?
Hinnerk Feldwisch-Dentrup: Es schwankt sehr stark, gerade sind wir bei 200%? (lacht) Insbesondere in den Aufbau haben wir sehr viel Zeit gesteckt. Damals hatten wir auch noch nicht die Möglichkeit uns eine Stelle auszuzahlen. Inzwischen haben wir beide ungefähr eine halbe Stelle, arbeiten teils aber deutlich mehr, da gibt es gewisse Schwankungen.
Nicola Kuhrt: Wir sind halt gemeinnützig und legen auch großen Wert darauf, dass wir unabhängig bleiben und gewisse Finanzierungen, die sicherlich sonst möglich wären, können und wollen wir auch einfach nicht machen. Das heißt, wir finanzieren uns eigentlich tatsächlich über unsere Leser. Das ist eine wachsende Community, die wir auch hegen und pflegen, aber da ist durchaus noch Luft nach oben. Wir haben halt auch nicht die Zeit zu trommeln und so eine Crowdfunding-Kampagne aufzusetzen, weil wir mit vielen Geschichten sehr viel zu tun haben und dann parallel gucken müssen, dass wir doch noch genug verdienen, um unsere Miete bezahlen zu können. Das muss im Moment noch ein bisschen austariert werden.
Welche gesellschaftliche Bedeutung hat Wissenschaftsjournalismus, insbesondere auf dem Feld der Medizin? Vielleicht auch vor dem derzeitigen Hintergrund?
Hinnerk Feldwisch-Dentrup: Falschnachrichten sind immer ein Problem und im politischen Bereich können sie die Demokratie und das staatliche System gefährden, wie man gerade in einigen Länder sieht. Wenn Trump beispielsweise empfiehlt Desinfektionsmittel zu schlucken, um Covid-19 zu behandeln, können Menschen gefährdet werden. Offenbar gab es ja auch nach Medienberichten Personen, die seiner Empfehlung gefolgt sind und gesundheitliche Probleme davongetragen haben. Falschinformationen im Medizinbereich sind sehr gefährlich. Praktisch jeder hat mal gesundheitliche Probleme in seinem Leben und ist auf gute Informationen angewiesen. Da wollen wir drauf gucken.
Nicola Kuhrt: Es ist auch so, dass es einfach gewisse Unterschiede gibt, ob man beispielsweise über schöne Bücher schreibt oder über neue Arzneimittel oder Therapien informiert. Da hat, was man schreibt, einfach noch mal eine andere Verantwortung und Sorgfaltspflicht, weil es eben die Gesundheit jedes Einzelnen betreffen kann. Sich dessen bewusst zu sein, finde ich extrem wichtig. Es gibt viele Kollegen, die das wirklich großartig machen und viele Initiativen, die Qualität des Wissenschafts- und Medizinjournalismus nicht nur fördern, sondern auch zeigen, wonach man gucken muss, wenn man über etwas schreibt. Beispielsweise welche Qualität die Studie hat: Wurden nur drei Leute beobachtet oder ist das eine große, randomisierte, doppelt-verblindete Studie mit ganz vielen Teilnehmern? Haben die Forscher Interessenskonflikte? Das muss man eigentlich alles abklopfen. Und wenn das nicht passiert, dann ist es halt nicht so gut.
Welchen Effekt erhoffen sie sich von MedWatch?
Hinnerk Feldwisch-Dentrup: Einerseits wollen wir darüber aufklären, was beispielsweise bei einer gewissen Krankheit die beste Therapie ist. Wir wollen recherchieren, was Geschäftemacher oder andere vermeintliche Heilsbringer in Sozialen Medien oder teils auch in ihren Praxen tun. Wir haben Kooperationen mit großen Medien, beispielsweise mit der ARD-Sendung „Kontraste“ oder der NDR-Sendung „Panorama“, wo wir auch investigative Recherche betrieben haben, undercover in Arztpraxen gegangen sind und geschaut haben, was dort passiert. Wir wollen auch die Behörden in Verantwortung ziehen und schauen, ob sie ausreichend eingreifen und ihrer Aufgabe gerecht werden. Wir haben gut zu tun!
Nicola Kuhrt: Eine Sache, die wir einfach festgestellt haben, ist, dass es im Bereich von Gesundheitsinformationen im Internet keinen Marktwächter gibt. Es gibt ja sonst im Bereich Tiere oder Lebensmittel NGOs, die regelmäßig auf Missstände hinweisen. Für Medizinjournalismus bzw. Gesundheitsinformationen im Netz gibt es das nicht. Es gibt drei Verbraucherschutzministerien, die immer mal draufgucken und es gibt diverse Behörden. Aber die reagieren alle auch nur, wenn schon etwas passiert ist. Auch angesichts der Tatsache, dass sich eigentlich fast jeder mittlerweile über das Internet informiert, wenn er etwas hat. Dass es da eine gewachsene Bewandtnis der Informationen im Internet gibt, ist da irgendwie noch nicht angekommen. Das thematisieren wir immer mal wieder in Interviews mit renommierteren Sprechern und fragen, was sie tun wollen, um diesen Bereich im Blick zu behalten. Es ist wichtig, dass da was passiert.
Hinnerk Feldwisch-Dentrup: Uns ist wichtig, dass wir dabei eine journalistische Herangehensweise wählen.
Welche Reaktionen haben sie bisher bekommen?
Nicola Kuhrt: Die kann man eigentlich in zwei Gruppen teilen. Es gibt die Leute, die das gut finden und auch weiterverteilen und sich mehr wünschen. Und dann gibt es natürlich die anderen, die das ganz schrecklich finden, die uns alle möglichen Sachen unterstellen.
Hinnerk Feldwisch-Dentrup: Wir sind sehr positiv überrascht über die vielen Leute, die uns unterstützen. Aber es gibt natürlich auch einige – wo wir anfangs eher überrascht waren, dass das nicht mehr waren – die nicht wollen, dass wir in diesen Bereich gucken und denken, dass manche Therapien eben doch sehr sinnvoll seien.
Wie gehen sie mit negativen Reaktionen um? Ist es nicht wahnsinnig anstrengend, sich ausgerechnet mit Homöopathie-Anhängern und Impfgegnern auseinanderzusetzen?
Nicola Kuhrt: Wir versuchen eigentlich auch da, immer auf einer sachlichen Ebene zu antworten. Ich habe im Moment ein schlechtes Gewissen, weil ich drei Leserbriefe noch nicht beantwortet habe. Es dauert extrem lange diese Vorwürfe dann auseinanderzudividieren, weil da ganz viel vermengt wird. Man will ja trotzdem eine Antwort geben, die auch dazu beiträgt, dass man sich weiterhin auf einer sachlichen Ebene unterhält. Wenn einem dann aber vorgeworfen wird, man wäre an ganz vielen Sachen schuld, ist es sehr schwierig und dann muss man ganz tief einsteigen. Im Moment ist auch einfach die Zeit dafür nicht da.
Hinnerk Feldwisch-Dentrup: Wir hatten länger keine Kommentarfunktion bei unseren Onlineartikeln, die haben wir vor ein paar Monaten eingeführt. Das war teils sehr zeitintensiv, denn wir wollen uns der Kommentare annehmen, aber dann auch schauen, dass in den Kommentaren nicht einfach Falschaussagen gepostet werden, die nicht eingeordnet werden und müssen deshalb teils prüfen, was gepostet wird. Aber wir hatten auch sehr positive Antworten von Leuten, die sehr überrascht waren, dass wir geantwortet und dann den kritischen Kommentar auch freigeschaltet haben.
Nicola Kuhrt: Dann haben wir natürlich auch so eine kleine, aber feine MedWatch-Community, unsere Leser, die ein kleines Abo abgeschlossen haben. Mit denen treten wir regelmäßig per Newsletter in Kontakt, das heißt, sie bekommen vorab Informationen, welche Projekte anstehen. Hin und wieder machen wir Stammtische, bisher waren wir in Köln, Berlin, München und Frankfurt. Da stellen wir uns einfach auch noch mal vor und reden mit unseren Leser*innen und fragen, was MedWatch machen soll. Langfristig planen wir eine kleine Datenbank, wo sich Leute eintragen können mit ihren Skills und Expertisen, die uns dann in unserer Recherche unterstützen können. So kann man auch noch mal mit der Leserin/dem Leser in Kontakt treten.
Was war für sie die bemerkenswerteste Recherche oder der bemerkenswerteste Artikel, den sie bisher geschrieben haben?
Hinnerk Feldwisch-Dentrup: Es kommt immer wieder etwas Spannendes, Neues. Wir hatten auch vorher teils schon über ein Thema gesprochen, was jetzt auch indirekt von Herrn Trump bekannt gemacht wurde: ein vermeintliches Wundermittel, was in Wirklichkeit eher als Chlorbleiche bezeichnet werden kann und das auch in Deutschland viele Menschen, teils Eltern, für ihre Kinder verwenden. Da hatten wir damals mit Kollegen von „Kontraste“ eine längere Recherche zu, wo wir geguckt haben, wie die Mittel beworben und verkauft werden, teils direkt in Arztpraxen. Oder es gab den Fall eines Heilpraktikers, der vor vier Jahren Krebspatienten mit 3-Bromopyruvat behandelt hat, wodurch Teile der Patienten verstarben. Da haben wir über zehn Tage den gesamten Gerichtsprozess in Krefeld begleitet.
Nicola Kuhrt: Eine Recherche, die mich auch sehr beschäftigt hat, die kommt – Cliffhanger! – vielleicht nächste Woche. Da geht es auch um Wundermittel. Es sind diverse Gesundheitsbehörden und Staatsanwaltschaften involviert, deshalb zieht sich das manchmal so in die Länge. Jetzt nach knapp vier Jahren wird dieser Artikel erscheinen. Da bin ich ganz begeistert! Man muss teilweise schon einen ganz schön langen Atem haben.
Das Interview wurde geführt von Marie Jakob und Helen Dreyhaupt
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