Wie war das damals?
30 Jahre ist der Mauerfall nun her – die Erinnerung an die DDR beginnt zu verblassen, die Ereignisse, die zur Wende führten, waren so vielfältig, dass kaum jemand sie erinnern kann und was nach dem Herbst 1989 passierte, ist noch lange nicht aufbereitet. Um so wichtiger, dass DDR-Vergangenheit, friedliche Revolution und die Folgen aufbereitet werden, so dass jeder sich informieren und die historischen Ereignisse nachvollziehen kann. Im Wettbewerb zum Grimme Online Award 2020 wurden zahlreiche Beiträge eingereicht, die Geschichte vermitteln.
Die umfangreichste historische Sammlung zur Berliner Mauer bietet sicherlich die „Chronik der Mauer„, vom schnellen Überblick über die Geschichte über Dokumente zu einzelnen Themen bis hin zu Lernmaterialien für die Grund- oder weiterführende Schule findet sich hier wirklich alles über das Thema Mauer. Auf dem gemeinsamen Projekt des Zentrums für Zeithistorische Forschung Potsdam e.V., der Bundeszentrale für politische Bildung und des Deutschlandradios sind geglückte wie gescheiterte Fluchtgeschichten gelistet und die Todesopfer werden mit Biografien und Einzelheiten ihrer – manchmal auch nur vermeintlichen – Fluchtversuche ausführlich gewürdigt. Mit Fotos von früher und heute, Videos und Audios oder FAQ zu einzelnen Fragen aus der Geschichte kann hier jeder der Mauer und der Wiedervereinigung nachspüren.
Auf eine andere Art spürt „The Wall Net“ der Berliner Mauer nach: Hier werden die heute noch vorhandenen Mauerstücke rund um die Welt katalogisiert. Zu einer Ausstellung, die im Herbst 2019 parallel in Moskau und München stattfand, wurde die Website „30 Jahre Mauerfall – Brücken zur Geschichte“ eingerichtet, die einzelne Mauerstücke thematisch sortiert genauer beschreibt.
Mauerfall ins Heute geholt
Dem Fall der Mauer und der Geschichtsvermittlung widmen sich naturgemäß die meisten Projekte – auch auf Social-Media-Kanälen. So verschickte die 19-jährige Leipziger Studentin Kathrin von August bis November 2019 Nachrichten auf Messenger-Diensten und versetzte so die Nutzer*innen in den Herbst 1989, indem sie alle wichtigen Wende-Stationen aufnimmt – vom Paneuropäischen Picknick über die Montagsdemonstrationen bis hin zur Feier des Mauerfalls. Das Projekt „Der Mauerfall und ich“ der Bundeszentrale für politische Bildung verknüpft die historischen Ereignisse geschickt mit den privaten Erlebnissen der fiktiven Kathrin, so dass Geschichte hier ganz nah kommt. Ähnlich arbeitet auch „Throwback89“ der Tagesschau: In Instagram-Stories und auf Snapchat berichtet Nora – mit authentischer Assipalme UND toupiertem Pony – wie ihre beste Freundin Johanna nach den Sommerferien nicht wieder zur Schule gekommen ist und gerät über private Erlebnisse in den Strudel der Geschichte. Sie und ihre Familie und Freunde nehmen die heutigen jungen Nutzer*innen mit in das Jahr 1989 – nicht nur auf den Social-Media-Kanälen, sondern auch auf einer eigenen Website, wo die Stories mit Archivmaterial der Tagesschau ergänzt werden.
Auf eine eigene Website verzichtet „Wende_Rewind“ vom rbb, mit Archivmaterial wird hier aber auch gearbeitet. Vom 7. Oktober 2019 bis 18. März 2020, also genau 30 Jahre nach der Zeitspanne vom Republikgeburtstag 1989 bis zu den ersten freien Volkskammerwahlen 1990, wurde auf dem Instagram-Kanal die Geschichte der friedlichen Revolution erzählt. In den Stories werden die Ereignisse auf den Tag genau mit vielen O-Tönen erzählt, der Feed liefert Fakten, Zitate, Videos und Fotos und oft eine starke Vertiefung. Alles mit einem ganz eigenen Design versehen und einheitlich gestaltet.
Friedliche Revolution ganz lokal
Bei den Online-Angeboten zur Wende wird oft über Leipzig berichtet, oder über Berlin. Zwischen Leipzig und Dresden liegt die Kreisstadt Oschatz, wo im Herbst 1989 auch Montagsdemonstrationen und Friedensgebete stattfanden. Die Lokalausgabe der Leipziger Volkszeitung berichtet in der Webdoku „Oschatzer Wendegeschichten“ über die Vergangenheit in der DDR, die friedliche Revolution und ihre Folgen in der Region. Orientiert an den Originalartikeln aus den Zeitungsausgaben von vor 30 Jahren geht es um so unterschiedliche Themen wie die Entwicklung des Sports, die verhinderte Abwicklung eines Betriebs oder den ersten Trabant.
Daten zu Ostdeutschland
Mit den Folgen des politischen und wirtschaftlichen Umbruchs für Ostdeutschland beschäftigen sich zwei datenjournalistische Projekte: In nur vier Jahren privatisierte die Treuhandanstalt die volkseigenen Betriebe der DDR. Was aus ihnen geworden ist, welche abgewickelt wurden und welche vielleicht noch existieren, analysiert „Warum die Treuhand das Land spaltet“ vom Mitteldeutschen Rundfunk und Hoferichter & Jacobs GmbH. Kernpunkt ist eine interaktive Karte, die anzeigt, woher die Käufer der Betriebe kamen, wer sie liquidiert hat und wie sich das auf die Stimmung auswirkt. Zusätzlich kann man nach einzelnen Orten oder Betrieben suchen, um sich die Lage im Detail anzusehen. Mit der Abwicklung der Firmen und der Verringerung der Arbeitsplätze kam auch die Abwanderung vom Osten in den Westen. Das zeigt „Die Millionen, die gingen“ von ZEIT Online auf: Hier wurden Daten über die rund sechs Millionen Umzüge zwischen Ost und West im Zeitraum 1991 bis 2017 ausgewertet. Fast ein Viertel der ursprünglichen Bevölkerung Ostdeutschlands zog in den Westen, erst im Jahr 2017 kehrte sich der Trend um. Das datenjournalistische Projekt schlüsselt Zu- und Abwanderungen für die Kreise in West und Ost auf, zeigt an einem Beispiel, wie eine Stadt schrumpft und klärt über die Folgen auf Stimmung und Wahlverhalten auf.
Ungeliebte Brüder und Schwestern
Während sich die vorangegangenen Projekte vornehmlich mit der Zeit der Wende und ihren Folgen beschäftigen, widmet sich „Eigensinn im Bruderland“ der Geschichte der DDR. Genauer der Geschichte der Vertragsarbeiter*innen in der DDR. Sie kamen aus Vietnam, Mosambik, Angola oder Kuba und hatten die Hoffnung auf eine gute Zukunft, die leider zu oft enttäuscht wurde. Mit einer Mischung aus Text und Videos taucht das Webangebot des Zentrums für Antisemitismusforschung der TU Berlin und out of focus medienprojekte tief in das Thema ein und bietet einen Einblick in die damalige Lebenswelt der Migrant*innen in der DDR zwischen strikten Wohnheimregeln, ungerechter Bezahlung und offener Ausländerfeindlichkeit.
Da hatten wir so viele Vorschläge rund um das Thema DDR, Wende und die Folgen, dass wir zwei Blogbeiträge daraus machen mussten. Betrachtenswert sind sie sicher alle – aber ob etwas davon nominiert wird? Am 22. April ab 16.30 Uhr verraten wir es im Stream auf unserem YouTube-Kanal.
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