Ein Netz für alle?!
Inklusion ist in aller Munde – sei es Barrierefreiheit im Alltag, Debatten um den zweiten Arbeitsmarkt oder inklusive Schulmodelle. Doch wie inklusiv ist eigentlich das Netz? Ein Blick in die Einreichungen rund um den GOA 2020 zeigt: immer mehr Menschen mit Handicap jeder Art nutzen das Internet, um ihrer Stimme Gehör zu verschaffen und erreichen damit eine breite Zielgruppe.
Behindert ist nicht gleich behindert
„Behindert – So what!“ ist ein YouTube-Kanal mit einem inklusiven Social Media Team und einem abwechslungsreichen Programm. Schwimmbäder und Bahnhöfe werden auf Barrierefreiheit getestet, einzelne Charaktere stellen sich vor (und suchen gelegentlich auch nach der großen Liebe), es wird über Vorurteile und Wünsche gesprochen und bei Witze-Challenges kommt auch der Spaß nicht zu kurz.
Initiiert von Tanja Kollodzieyski (@RolliFraeulein) lebt auch das Twitter-Projekt „54 Kontraste“ von einem inklusiven Team. 54 Wochen lang übernimmt jede Woche eine neue Person mit Behinderung den Twitter-Account und teilt ihren Alltag dort. Aktuell läuft bereits die 47. Woche, thematisch ging es unter anderem schon um Gehörlosigkeit, Hüftdysplasie, multiple Sklerose, Blindheit, Schwangerschaft im Rollstuhl oder Depressionen – schließlich geht es darum, bunt zu sein und die verschiedenen Facetten von Behinderung zu zeigen. Denn „den Behinderten“ gebe es nicht.
„Menschen mit Behinderung werden noch immer oft verallgemeinert als ‚die Behinderten‘ wahrgenommen. Dabei ist jeder Mensch einzigartig. […] Kein Leben mit Behinderung ist gleich.“
Tanja Kollodzieyski im Interview mit ze.tt
Sichtbarkeit durchs Netz
Viele Behinderungen sind nicht auf den ersten Blick sichtbar. Darauf weist schon der Blog-Titel „Unbemerkt“ der 25-jährigen Nici hin. Nici wurde 2017, also erst im Erwachsenenalter, mit dem Asperger-Syndrom diagnostiziert und widmet sich seitdem in ihrem Blog den Themen Asperger und Autismus, dem Werdegang ihrer Diagnose, wie sie das Syndrom erlebt und welchen Umgang sie damit findet.
Auch auf „Ellas Blog“ geht es um Autismus. Ella ist Mutter eines autistischen und nonverbalen Sohns und steht in engem Kontakt mit ihrer Community. Sie geht auf die Kommentare ihrer Leser*innen ein und gibt ihnen die Möglichkeit, auch Gastbeiträge auf ihrem Blog zu veröffentlichen. Momentan schreibt sie beispielsweise viel über die Probleme, mit denen sich Eltern autistischer Kinder und die Kinder selbst im Zuge der Corona- und Quarantäne-Situation konfrontiert sehen.
Ebenfalls um weitestgehend unsichtbare Behinderungen geht es auf „Holy Shit I Am Sick“, dem Blog der Journalistin, Filmemacherin, Autorin und Bloggerin Karina Sturm. Ihr Fokus liegt hierbei auf dem Ehlers-Danlos-Syndrom, einer seltenen Bindegewebserkrankung, und ihren damit zusammenhängenden, aber auch unabhängigen Erkrankungen. Neben fundierten und tiefgründigen wissenschaftlich-medizinischen Hintergründen beschreibt die Autorin auch ihren persönlichen Krankheitsverlauf und ihre von Fehldiagnosen geleitete Diagnosegeschichte.
Nicht auf Anhieb sichtbar ist auch Gehörlosigkeit. Auf dem TikTok-Kanal der 22-jährigen Cindy Klink gibt es zu dem Thema dennoch einiges zu sehen und auch zu hören. Denn dort klärt die junge Frau auf selbstironische Weise über Fragen rund um Gehörlosigkeit auf, wie zum Beispiel: Wie hörst du den Rauchmelder? Wie kontaktierst du den Notruf? Kannst du deine eigene Stimme hören? Oder wie stehst du eigentlich morgens auf, wenn du den Wecker doch nicht hörst?
Blind ins Kino?
„Blinde Menschen und Kino passen nicht zusammen.“ – Falsch gedacht. Barbara Fickert ist blind und leidenschaftliche Kinogängerin. Auf „Blindgängerin“ bewertet sie Audiodeskriptionen von Filmen und inszeniert sich selbst in ihren Beitragsbildern immer wieder passend zum Film und mit sehr viel Charme.
Auch Lizzi ist hochgradig sehbehindert und bloggt auf „Lizzis Welt“ über ihr Leben, nimmt ihre Leserschaft mit auf ihre physischen und mentalen Reisen und geht dabei beispielsweise der Frage nach, ob man über sein Handicap sprechen darf.
Mit einem klaren „Ja!“ würde vermutlich die YouTuberin Fabiana von „Ypsilon“ antworten. Aufgrund einer Netzhauterkrankung verfügt sie nur noch über ein Prozent Sehkraft. Auf ihrem YouTube-Kanal sucht sie aktiv das Gespräch mit anderen Menschen mit Behinderung oder initiiert Straßenumfragen, in denen sie ihr Gegenüber offen und direkt mit ihrer Blindheit konfrontiert. Sie nimmt ihre Zuschauer*innen mit in ihren Alltag und zeigt, wie sie Fahrrad fährt oder sich schminkt – und das alles, ohne selbst sehen zu können, was sie online stellt.
Behinderung und politischer Aktivismus
Auch politischer Aktivismus und Behinderung schließen einander nicht aus, sondern gehen vielmehr Hand in Hand. Das zeigt unter anderem der Instagram-Kanal von „Natalie Dedreux“. Natalie hat das Down-Syndrom und sagt über sich selbst, dass sie „politisch drauf“ sei. Sie postet auf ihrem Instagram-Account wie auch auf ihrem Blog zu verschiedenen politischen Themen, ihrer Arbeit und ihrem Alltag. Eine besondere Herzensangelegenheit ist ihr Aktivismus gegen pränatale Bluttests auf das Down-Syndrom bei Schwangeren.
Das Projekt #NotJustDown von Tabea Mewes möchte ein Bewusstsein für Menschen mit dem Down-Syndrom in der Gesellschaft wecken und eine Idee davon vermitteln, warum ein Leben ohne Menschen mit Down-Syndrom nicht lebenswert ist. Auf dem Instagram-Kanal stellt sie das Leben ihres Bruders Marian vor, der das Down-Syndrom hat und berichtet beispielsweise von seinen Praktika auf dem ersten Arbeitsmarkt. Dabei stellt sie immer einen persönlichen Bezug her und richtet emotionale Worte an ihren Bruder, in denen sie davon spricht, wie er ihr Leben bereichert und was sie an ihm schätzt.
Wer selbst einen Beitrag dazu leisten möchte, das Netz zugänglicher zu machen, dem sei „Barrierefrei Posten“ ans Herz gelegt. Dort wird erklärt, wie man Bildbeschreibungen setzt oder warum #GrimmeOnlineAward2020 barrierefreier ist als #grimmeonlineaward2020.
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