Authentizität und Inszenierung auf YouTube
Text von: Rabea Gruber
Auf YouTube finden Jugendliche nicht nur Unterhaltung, sondern auch Videos zu politischen und tagesaktuellen Ereignissen. Einige Youtuber*innen, wie etwa LeFloid oder MrWissen2go, beschäftigen sich in ihren Videos regelmäßig mit Nachrichten und dem politischen Geschehen. Beeinflussen sie damit die Meinungsbildung von Jugendlichen? Wie reflektiert gehen Jugendliche mit YouTube-Videos um, wie bewerten sie YouTube im Vergleich zu anderen Nachrichtenquellen? Und wie kritisch beurteilen sie das Selbstbild der Youtuber*innen, das auf Authentizität und Persönlichkeit beruht? Zu diesen und weiteren Fragen haben Prof. Dr. Kai Uwe Hugger, Lea Marie Braun, Christian Noll, Tine Nowak, Lars Gräßer, Daniel Zimmermann und Prof. Dr. Dr. Kai Kaspar geforscht. Das Projekt YouTuber-Videos, Peers und politische Orientierung von Jugendlichen wurde vom Grimme-Forschungskolleg an der Universität zu Köln von 2017 bis 2018 gefördert. Dabei wurden im Rahmen eines Studienteils vier qualitative, leitfadengestützte Gruppeninterviews mit Jugendlichen geführt. Die Auswertung der Gruppendiskussionen zeigte, dass Jugendliche informationsorientierte Inhalte auf YouTube durchaus kritisch betrachten, jedoch tendenziell Schwierigkeiten mit der Reflexion von Medienangeboten haben.
Gutes YouTube, unglaubwürdiges YouTube – die Ausgangslage
YouTube hat sich zu einer zentralen Informationsquelle für Jugendliche entwickelt. 23% der Nutzer*innen im Alter von 12 bis 19 Jahren sehen sich regelmäßig nachrichtlich-informative Videos auf der Plattform an (Medienpädagogischer Forschungsverband Südwest 2018). An dem Angebot auf YouTube schätzen sie vor allem, dass sie sich zu speziellen Themengebieten informieren können, vertiefende Informationen erhalten und neue Argumente sammeln, mit deren Hilfe sie sich eine eigene Meinung bilden können (Hasebrink et al. 2017). Aus der bisherigen Studienlage geht hervor, dass Jugendliche und junge Erwachsene die Angebote von YouTube und anderen Videoplattformen überdurchschnittlich positiv bewerten (Engel/Rühle 2017), die Inhalte aber als weniger hochwertig betrachten, wenn es um journalistische Qualität und Glaubwürdigkeit geht. Zum Vergleich: 92 Prozent der 18- bis 34-Jährigen halten soziale Medien für weniger glaubwürdig als den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und Tageszeitungen (Simon 2018). Die Gruppendiskussionen in dieser Studie setzen dort an und stellen die Glaubwürdigkeit und Kommerzialisierungstendenzen auf YouTube in den Vordergrund.
Wie Jugendliche Glaubwürdigkeit einschätzen
In den Gesprächsrunden zeigt sich: Jugendliche unterscheiden deutlich zwischen den medialen Settings, in denen sie sich informieren. YouTube grenzen sie dabei klar von klassischen Nachrichtensendungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ab – auf YouTube erwarten sie eine persönlich-meinungsorientierte Herangehensweise an Themen, die Tagesschau wird hingegen stärker als neutral-objektive Berichterstattung wahrgenommen. Dabei zeigt sich bereits ein grundlegendes Problem in der analytisch-kritischen Medienkompetenz der Jugendlichen. Die Einordnung des Medienangebots erfolgt eher kategorial und wenig differenziert. Gerade jüngere Teilnehmer*innen setzen Massenmedien mit Wahrheitstreue gleich, Ältere äußern sich durchaus auch kritischer und sprechen über die Vermischung von Meinung und Information in den Massenmedien.
Zwischen Authentizität und Inszenierung
Jugendliche nutzen Angebote von YouTube gezielt, weil sie die Plattform mit Authentizität verbinden. YouTuber*innen sind für sie „echte“ Personen aus dem „richtigen“ Leben und wirken dadurch glaubwürdiger als scheinbar perfekte Nachrichtensprecher*innen, die sich kaum je vor der Kamera versprechen. Zu diesem Gefühl von Authentizität gehört auch die spezielle YouTube-Ästhetik mit ihren schnellen Schnitten und der einfachen Produktion. In der Diskussion führen die Jugendlichen diese Elemente als Beispiele für die Authentizität der Videos an. Dabei scheinen sie nicht zu berücksichtigen, dass auch diese „fehlerhaften“ Produktionen inszeniert sind.
Da Jugendliche an den YouTuber*innen vor allem ihr Authentizitätsversprechen schätzen, ist für sie sehr wichtig, dass die Personen ihre Glaubwürdigkeit beibehalten. Als weniger authentisch gelten beispielsweise YouTuber*innen mit sehr vielen Followern und besonders solche, die vor der Kamera „unecht“ wirken. Im Interview geben die Jugendlichen an, an der Gestik und dem Lachen der YouTuber*innen zu erkennen, wie sehr sie hinter ihren Themen stehen. Problematisch erscheint vielen Jugendlichen auch ein Wechsel der YouTuber*innen in redaktionelle Formate.
An diesen Formaten kritisieren sie, dass das Setting und die Performance der YouTuber*innen fremdbestimmt und weniger „echt“ wirken. Ein Beispiel für einen solchen Wechsel des Settings ist das Interview, das vier bekannte deutsche YouTuber*innen vor der Bundestagswahl 2017 mit Angela Merkel geführt haben. Dass dieses Format redaktionell aufbereitet wurde, wird von den Jugendlichen in den Interviews kritisiert; die YouTuber*innen werden als weniger authentisch bewertet als in ihren eigenen Videos.
Kritik an der Kommerzialisierung
Jugendliche erkennen Kommerzialisierung auf YouTube und kritisieren diese als Authentizitätsverlust. Dabei trifft die Kritik besonders die erfolgreichen YouTuber*innen mit großer Reichweite, beispielsweise JulienBam oder LeFloid. Auffällig ist aber, dass die Kritik der Jugendlichen selten über die persönliche Ebene hinaus geht. Strukturelle Ursachen und Folgen der Kommerzialisierung werden so gut wie gar nicht angesprochen.
Ausblick: Medienkritikfähigkeit fördern!
In Bezug auf die Medienkritikfähigkeit zeigen die Diskussionsrunden, dass Jugendliche durchaus analytisch mit Medieninhalten umgehen. Sie unterscheiden mediale Settings, ordnen Medieninhalte in Kategorien wie „authentisch“ oder „inszeniert“ ein und erkennen problematische Tendenzen wie etwa bei der Kommerzialisierung auf YouTube. Allerdings ist die Kritik der Teilnehmer*innen wenig reflexiv. Kategorien werden kaum hinterfragt und die Kritik an YouTubern bleibt überwiegend auf der persönlichen Ebene. Gesellschaftliche Verhältnisse werden fast gar nicht angesprochen. Was bedeuten diese Ergebnisse für die Medienpädagogik? In erster Linie lautet die Schlussfolgerung, dass die Medienkritikfähigkeit von Jugendlichen gezielter und stärker gefördert werden muss. Als notwendige Voraussetzung dafür sind außerdem die Rahmenbedingungen zu verbessern: Es benötigt mehr Ressourcen und Personal für geeignete Fördermaßnahmen.
Weitere Ergebnisse werden in Kürze in der Open-Access-Zeitschrift «MedienPädagogik» veröffentlicht.
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