Neos Kosmos: Von Menschen und Göttern
Der interaktive Longread Neos Kosmos berichtet von verschiedenen Projekten, die während der Krise in Griechenland entstanden sind. Nicht nur die Projekte, mit denen die Menschen versuchten, den Alltag in der Krise zu bewältigen, sind einzigartig, sondern auch das Format. Texte, Bilder, kurze Videos und Hintergrundmusik formen die perfekte Atmosphäre, um sich beim Lesen der Geschichten in die Situation der Menschen hineinzuversetzen.
Lukas Schepers, Philipp Meuser und Kolja Warnecke haben dieses Projekt umgesetzt, das für den Grimme Online Award 2019 in der Kategorie Kultur und Unterhaltung nominiert ist. Im Interview äußert sich Lukas Schepers zu den Gründen, dieses Projekt zu starten, über das Format und erzählt einige Anekdoten von seiner Reise.
Gab es einen besonderen Grund für dieses Projekt?
Die Auswirkung der Finanzkrise in Griechenland, aber auch die Berichterstattung einiger deutscher Medien, wie Focus und Bild, die 2012 rassistische Hetzkampagnen gegen das ganze griechische Volk gefahren und es als faul verunglimpft haben. Ich verfolgte die Berichterstattung und merkte, dass es nur um Wirtschaftszahlen, Schuldenerlass oder Schuldenschnitt ging. Es ging nur um die kalten Zahlen und nicht um die Situation der Menschen.
Warum hast du dich für das Longread-Format entschieden?
Ich glaube, aus Unzufriedenheit mit der inhaltlichen Ausrichtung des Journalismus, mit der Form des Journalismus. Es wird auf Schlagzeilen geguckt, man bekommt Push-Benachrichtigungen und man muss sie öffnen, um mehr zu erfahren … Alles ist sehr verknappt und verkürzt. Deshalb war es mir wichtig, ein Plädoyer für die Langatmigkeit und Ausführlichkeit zu schaffen. Es gab aber auch ästhetische Gründe: ich war mit zwei Fotografen dort, die auch künstlerisch arbeiten. Die Bildberichterstattung in der Medienlandschaft ist ziemlich dürftig; normalerweise werden vor allem Belegbilder gemacht. Aber die Bildsprache und die generelle Aufbereitung im Journalismus kann – bis zu einem gewissen Grad – künstlerisch sein, ohne an Seriosität zu verlieren.
Woher stammt dein Interesse an Griechenland und an der griechischen Mythologie?
Das stammt aus meiner Freizeit, ich habe viel Homer gelesen: Die Ilias und die Odyssee. Auch viele antike griechische Dramen. Griechische Mythologie ist ganz klar ein persönliches Faible von mir.
Welches Projekt hat dich besonders beeindruckt?
Es ist schwierig, eins herauszupicken; alle haben ganz unterschiedliche Ansätze und sind auf ihre Art bewundernswert und hervorragend. „Lysos Garten“ hat einen bleibenden Eindruck hinterlassen, weil wir sehr herzlich empfangen wurden von den Projektleitern und den Teilnehmenden, Menschen mit Behinderungen. Gerade sie traf die Krise hart, weil sie nicht wirtschaftseffizient arbeiten konnten. Sie standen also als erstes vor dem kompletten Desaster. Zwei deutsche Frauen, die vor Jahren nach Griechenland emigriert sind, starteten deshalb das Projekt. Sie gaben den Menschen die Möglichkeit, eine Ausbildung zum Gartenlandschaftsbauer zu machen. Die Teilnehmenden werden von freiwilligen Experten angeleitet und werden auch bezahlt. Der Lohn kommt durch Spendengelder zusammen. Nach der Ausbildung können sie in der Landwirtschaft arbeiten oder ihren Familien auf dem Hof aushelfen. Private Personen haben ein Rettungsnetz gebildet für die Menschen, die der Staat nicht mehr auffangen konnte – das fand ich sehr bewundernswert.
Wie fühltest du dich während deiner Reise?
Es gab viele Momente, wo man abends zusammensaß und sich dachte: Hier herrscht echt große Not! Aber leider ist es in vielen anderen europäischen Ländern auch so. Wir sind mit dem Auto nach Griechenland gefahren und im südlichen Serbien hatten wir das Gefühl, dort herrscht noch mehr Armut und Not. In Griechenland ist das Erstaunliche der Wechsel. Früher hatten die Menschen einen hohen Lebensstandard und dieser ist sehr gesunken. Diese Änderung hat die Leute gelähmt und wütend gemacht. Diese Resignation ging einem auch sehr nah. Aber aus der Not geboren, entstand auch ein Funken der Hoffnung. Man kann dieses Projekt als Vorbereitung auf die nächste Krise sehen, man kann nachlesen, welche Art von Projekten die Menschen zusammenschweißen. Es gibt viel Trauer, die mitschwingt, aber auch viel Hoffnung.
Wie haben die Menschen auf dein Projekt reagiert?
Ich kann mich daran erinnern , dass wir mit einer Dolmetscherin in Thessaloniki in einem Café waren und uns mit den Menschen unterhalten haben. Es gab eine Gruppe von älteren Frauen, die später noch auf uns zugekommen sind, um uns zu sagen, dass sie sich freuen, dass wir uns darum kümmern. Das war eine sehr schöne Reaktion. Es gab aber auch Diskussionen, bei denen sich die Leute in Rage geredet haben und vorurteilsbelastet die Deutschen verunglimpft haben. In einem bäuerlichen Dorf gab es die Situation, dass uns zur Verabschiedung ein Bauer den Hitlergruß gezeigt hat. Es gab diverse Reaktionen.
Was war Ziel deines Projekts? Hast du es erreicht?
Ich habe mir kein konkretes Ziel gesetzt. Ich wollte zum Nachdenken über die Situation anregen, ein Umdenken innerhalb des Journalismus anregen, eine andere Betrachtung des Weltgeschehens ermöglichen. Ob es diese Wirkung bei anderen erzielt, kann ich schlecht einschätzen. Ich bin erstmal froh, dass dank der Grimme Online Award-Nominierung mehr Menschen auf mein Projekt aufmerksam werden.
Denkst du, dass sich die Situation in Griechenland in den nächsten Jahren verbessern wird?
Obwohl sich das Land langsam wieder erholt, wird die Krise die Psyche des griechischen Volkes sehr beeinflussen. Die politische Ausrichtung ist davon auch betroffen: Bald sind Wahlen und es würde mich nicht wundern, wenn als direkte Konsequenz die Goldene Morgenröte, die rechtsextremistische Partei, noch mehr an Bedeutung gewinnt. Die Krise wird noch lange Konsequenzen haben.
Das Interview führte Sarah Lopez.
Die Interviews entstanden in medienpraktischen Übungen und Seminaren im Bachelor-Studiengang Online-Redaktion an der TH Köln.
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