Ein Gefühl, als tauche man in eine ganz andere Welt ein
Ende 2018 nahm Deutschland Abschied vom Steinkohle-Bergbau. Mit dem „WDR Bergwerk in 360° und VR“ können die NutzerInnen einen Bergmann begleiten, die Zeche erkunden, mit der Dieselkatze fahren oder selbst Kohle aus dem Berg hauen. Das Angebot bewahrt so ein Stück deutscher Industriegeschichte.
Das Projekt ist für den Grimme Online Award 2019 in der Kategorie Wissen und Bildung nominiert. Im Interview spricht Stefan Domke über die Arbeit mit den Kumpels und die Herausforderung „unter Tage“ zu arbeiten.
Wie lange habt ihr für das Projekt gedreht?
Alles in allem haben wir rund 15 Tage „unter und über Tage“ auf der Zeche Prosper Haniel produziert.
Wie viel Vorbereitungszeit gab es?
Der Vorlauf bis zum eigentlichen Projektstart war immens. Eigentlich gab es seitens der Ruhrkohle AG (zu der das Bergwerk gehörte) bereits im Sommer 2017 grünes Licht. Doch dann gingen nochmal sechs, sieben Monate ins Land, bis wir starten durften. Die Sicherheitsanforderungen für die Produktion unter Tage waren so hoch, dass das Projekt mehr als einmal auf der Kippe stand, bevor wir überhaupt eine einzige Aufnahme gemacht hatten. Aber wir haben in der Zwischenzeit weiter geplant und mehrere „Erkundungsfahrten“ gemacht, um die Arbeitsabläufe in 1.200 Meter Tiefe zu verstehen – mit dem Optimismus, das wird schon irgendwann klappen.
Was war das besondere an Eurer Arbeit unter Tage?
Wir haben sehr schnell feststellen müssen, dass der zeitliche Aufwand in dieser “Untertagewelt” enorm ist. Wir wollten ja dort produzieren und filmen, wo die Kohle abgebaut wird. Aber bis wir überhaupt an diesem Ort ankamen und bevor dort die erste Minute Filmmaterial aufgenommen war, vergingen jedes Mal Stunden. Erst gab es eine obligatorische Sicherheitseinweisung, um sich im Fall eines Grubenunglücks richtig zu verhalten. Dann wurde die Kleidung gewechselt und jeder wurde mit Schutzbrille, Helm, Grubenlampe, Stiefeln usw. ausgestattet. Wenn wir dann endlich vor dem Förderschacht standen, war erstmal Warten angesagt. Denn es gab keinen Knopf wie beim Fahrstuhl – der Förderkorb fährt strikt nach Fahrplan. Endlich unten angekommen, waren wir noch längst nicht am Ziel. Dann wurde ein kleiner Zug bestiegen, der in eher gemächlichem Tempo dem Ziel entgegenrumpelte. Am Ende folgte dann meist noch ein Fußmarsch. Und dann ging die eigentliche Arbeit ja erst los.
Was waren die größten Herausforderungen bei den Dreharbeiten?
Alles an Aufnahmetechnik, was elektrisch betrieben wird, war dort unten eigentlich tabu. Denn selbst eine Knopfzellen-Batterie konnte im schlimmsten Fall zu einer so genannten Schlagwetterexplosion führen. Um filmen, fotografieren und Ton aufnehmen zu dürfen, hatte uns die Bergbau-Behörde nach langen Verhandlungen eine Sondergenehmigung erteilt, die diverse Auflagen enthielt: Für einen Akkuwechsel musste z.B. wieder aus dem Bergwerk ausgefahren werden.
Wenn sich dann der gigantische Kohlehobel in Bewegung setzte, war das für das technische Equipment und fürs Team ziemlich grenzwertig. Es gab eine immense Staubentwicklung, die durch das Versprühen von feinem Wassernebel bekämpft wurde. Bei Temperaturen von über 30 Grad war das kein Vergnügen. Und es war eigentlich fast durchweg unglaublich laut. Am Ende der Drehtage waren eigentlich alle aus dem Team völlig erledigt.
Wie hat sich das angefühlt, unter Tage zu sein?
Es war ein Gefühl, als tauche man in eine ganz andere Welt ein, aus verschiedenen Gründen. Zum einen ist es ja wirklich so, dass man sich vor Eintritt in diese Arbeitswelt einmal komplett entkleiden musste. Denn selbst die eigene Unterhose war unter Tage tabu. Darin eventuell enthaltene Synthetikfasern hätten durch Reibung einen Funkenflug und in der Folge eine Methangasexplosion auslösen können. Mit blauer Feinripp-Unterwäsche, Grubenhemd, schweren Stiefeln und Helm ausgestattet, vollzog sich allein optisch eine Verwandlung. Und das Miteinander unter Tage war spürbar anders als über Tage. Irgendwie direkter, da wurde nicht lang um den heißen Brei drumherum geredet. Es war dort unten übrigens eine komplette Männerwelt. Auch das fühlt sich anders an.
Wie hast du die Arbeiter vor Ort, also die Kumpel, erlebt?
Humorvoll, herzlich und hilfsbereit. Und sie haben mit ihrer Meinung nie hinterm Berg gehalten. Sie hatten eigentlich die ganze Zeit totale Lust auf dieses Projekt, und das hat man auch gemerkt. Denen war bewusst, das ist das erste und das letzte Mal, dass unter Tage in 360 Grad gedreht wird. Und sie wollten, dass etwas von ihrem Arbeitsleben für die Nachwelt erhalten bleibt. Wir hörten mehr als einmal: “Toll, dass ihr das macht, dann kann sich meine Frau das erste Mal an meinem Arbeitsplatz umschauen.” Denn kaum jemand hatte ja die Möglichkeit, als Besucher in ein Bergwerk einzufahren.
Was nimmt man von so einer Arbeit mit in den Alltag?
Ich habe eigentlich noch kein Projekt erlebt, das so ungewöhnlich war wie dieses. Und das mir gleichzeitig so viel Spaß gemacht hat. Da erinnere ich mich immer noch gern dran zurück. Ich habe aber auch noch nie ein Projekt erlebt, wo ich abends so völlig fertig ins Bett gefallen bin. Dabei haben wir da unten ja gar nicht hart körperlich arbeiten müssen.
Mir hat diese alltägliche Arbeit der Kumpel unter Tage erheblichen Respekt abgenötigt. Übrigens herrschte dort unten ein beneidenswertes Arbeitsklima. Mehr als einmal hörten wir: „Hier unten gibt es eigentlich keine Arschlöcher. Denn wer hier unten ein Arschloch ist, hat auf Dauer keine Chance”.
Was hat dich am meisten beeindruckt?
Wozu der Mensch technisch in der Lage ist. Die haben es geschafft bis in über 1.000 Meter Tiefe zu bohren und dort quasi eine Kleinstadt mit in der Spitze vielen tausend “Bewohnern” zu erschaffen.
Die Interviews entstanden in medienpraktischen Übungen und Seminaren im Bachelor-Studiengang Online-Redaktion an der TH Köln.
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