Datenjournalistische Aufklärung
Mehr als nach einem Jahr nach dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz stellt sich immer noch die Frage: Wie konnte es dazu kommen, obwohl Attentäter Anis Amri bereits ins Visier der deutschen Behörden geraten war? Die Berliner Zeitung hat mit dem Angebot „Die Akte Amri – und der Staat sah zu“ online eine detaillierte Dokumentation mit zahlreichen Infografiken, einer Zeitleiste und Ermittlungsakten zu diesem Fall aufbereitet.
„Die Akte Amri – und der Staat sah zu“ ist für den Grimme Online Award 2018 in der Kategorie Information nominiert. Welche journalistische Aufgabe dieses Projekt füllt und welche Möglichkeiten multimediales Storytelling dafür bietet, verrät Chefredakteur Thilo Knott im Interview.
Was war der Anreiz dafür, im Format des Storytellings den Fall Anis Amri journalistisch aufzubereiten?
Uns hat der Fall Amri hier in Berlin natürlich besonders bewegt und er war ja auch immer wieder im Verlauf des Jahres Gegenstand der Berichterstattung. Zum Jahrestag des Anschlags haben wir deswegen überlegt, was wir mit den 10.000 Seiten an Ermittlungsakten machen können und schließlich beschlossen, uns auf den dokumentarischen Ansatz zu konzentrieren. Dabei haben wir uns die Frage gestellt, wie man diesen Fall so erklären kann, dass man sich einmal allumfassend informieren kann über den Weg vom Maghreb nach Berlin, den Anis Amri genommen hat, aber auch, wie die Behörden Anis Amri begleitet und gesehen haben. Wir hatten also immer diese zwei Sichtweisen aus den Akten und das haben wir im Format des Storytellings sehr detailliert dargestellt. Zudem haben wir in der Berliner Zeitung auch im Digitalen den Kanal „Berlin Story“ eingeführt, wo wir diese investigativen Geschichten erzählen mit allen datenjournalistischen multimedialen Möglichkeiten, die man halt eben nur im Digitalen hat.
Wie seid ihr an die Dokumente gekommen?
Teilweise sind die Dokumente einsehbar und teilweise haben wir sie, wie im Journalismus üblich, über Kontakte übermittelt bekommen.
Wie habt ihr es geschafft, die Daten in nur einem Monat auszuwerten?
Da war natürlich ein Team dahinter. Wir hatten mehrere Autoren, ein Investigativteam, einen lokalen Polizeireporter, einen externer freien Mitarbeiter, der viel für das Haus macht, und einen Datenjournalisten, der versucht hat, die Auswertungen in Grafiken oder Timelines zu übersetzen. Dann brauchst du natürlich bei so einem Projekt immer eine Projektleitung, die dafür sorgt, dass alle Rädchen ineinandergreifen. Zusätzlich hatten wir noch einen technischen Entwickler, der die ganzen Tools gebaut hat, sodass insgesamt schon ein gutes Team zustande gekommen ist und wir es deswegen geschafft haben, die Daten in nur einem Monat auszuwerten.
Gab es Rückmeldung zu eurem Angebot von politischer Seite? Wie fiel sie aus?
Ja, unsere Dokumentation war auch Gegenstand von verschiedenen Ausschüssen. Es war auch unsere Rechercheaufgabe, Zusammenhänge herzustellen und das eine oder andere in diese Geschichte zu packen, was so noch nicht bekannt war.
Warum wurde die Gestaltung des Angebots so einfach gehalten?
Die Herangehensweise muss sich ja auch in der Form ausdrücken. Und unser Ansatz war der dokumentarische. Das bedeutete für uns, dass in unsere Dokumentation keine GIFs oder irgendetwas, was ständig rumflackert, gehören. Wir arbeiten mit einfachen linearen Darstellungsformen, weil die Materie an sich ja sehr kompliziert ist. Bei solchen Sachen ist die banale Leserführung die, die am ehesten dazu führt, dass der Leser sich das auch wirklich durchliest. Deswegen war unser Tenor: Jede Ablenkung die nicht sein muss, machen wir auch nicht.
Welcher Appell an die Politik und Gesellschaft lässt sich mit eurem Angebot vermitteln?
Das ist ein Angebot, was wir für unsere Leser machen. Wir machen mit dem Storytelling genau das, was Medien eigentlich tun sollten, nämlich aufklären. Dazu gehört dann Empirie und die Darstellung von komplexen Zusammenhängen. Das ist unser qualitätsjournalistisches Versprechen. Das war jetzt keine politische Mission, sondern im Prinzip eine Tiefenrecherche, in der wir uns sehr intensiv mit einer Materie beschäftigt haben, die sehr spannend zu lesen ist. Man darf bei solchen Projekten auch die interne Wirkung nicht vergessen: Als Regionalmedium testen wir mit diesen Dokumentationen unsere Grenzen aus. Das ist wichtig, auch wenn dann wenig Zeit da ist, um viel zu verarbeiten. Wir müssen uns immer an Grenzen bringen, damit wir wissen, wo wir redaktionell und journalistisch stehen.
Das Interview führte Mine Aktas
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Die Videos entstanden im Rahmen der medienpraktischen Seminare des Masterstudiengangs International Media Studies (IMS) der DW-Akademie.
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