Reibungsfläche bieten
Politik ist langweilig, Jugendliche interessieren sich überhaupt nicht dafür … oder? Wie das funk-Format „Deutschland3000“ zeigt, findet die Jugend politische Themen durchaus spannend – wenn sie ihr entsprechend vermittelt wird.
„Deutschland3000“, nominiert für den Grimme Online Award 2018 in der Kategorie Information, regt jüngere Leute an, sich mit gesellschaftlichen Themen zu befassen und sie zu diskutieren. Wie der Austausch über Facebook klappt berichtet Moderatorin Eva Schulz im Interview.
„Deutschland3000“ greift politische Themen auf, speziell für jüngere Leute. Interessiert die Jugend Politik zu wenig oder ist das ein altes Klischee?
Das ist ein altes Klischee. Ich glaube nicht, dass junge Leute politikverdrossen sind. Ich glaube, dass Politik nicht genug für sie aufbereitet wird. So ist „Deutschland3000“ ja auch entstanden. Ich hatte das Gefühl, dass es gar nicht genug Orte gibt wo ich hingucken kann, wenn ich mir eine Meinung zum politischen Geschehen bilden will. An dem Erfolg merken wir, dass es offenbar noch mehr Leute gibt, die dieses Bedürfnis haben, dass auf den Kanälen wo sie eh schon sind – Facebook, YouTube, Twitter, Instagram – auch diese Themen verhandelt werden.
Politisch ist gerade viel los in der Welt – warum fokussiert sich das Angebot auf Innenpolitik?
Wir sind im letzten Sommer gestartet – da war es explizit als Format zur Bundestagswahl geplant. Diesen innenpolitischen Rahmen haben wir jetzt erstmal beibehalten, auch weil es da genug zu erzählen gibt. Ich kann mir schon vorstellen, irgendwann auch mal Außenpolitik zu machen, wenn die einen starken deutschen Bezug hat – wie kürzlich beispielsweise unser Video über deutsche Rüstungsexporte an die Türkei. Ich finde den Rahmen Innenpolitik aber schon weit genug gefasst. Sonst wären wir überfordert, wenn wir mit unserem kleinen Team jetzt noch amerikanische Politik abdecken müssten oder „Europa3000“.
Wie macht man denn „trockene“ Themen auch für Jugendliche interessant?
Trockene Themen sind es ja gar nicht. Wir wenden uns auch selber nur den Themen zu, die wir spannend finden. Wir versuchen nur, sie anders aufzubereiten und haben inzwischen ganz viel darüber gelernt, wie Bewegtbild auf Facebook funktioniert. Wir arbeiten zum Beispiel vermehrt mit Text im Bild und Grafik, weil viele Leute unsere Videos stumm schauen. Außerdem sind sie sehr kurz, denn wenn ich ein sieben-Minuten-Video machen würde, dann würden sich das nur diejenigen angucken, die eh schon interessiert sind. Aber wenn ein zweieinhalb-Minuten-Clip im Feed aufploppt, schaut man sich den vielleicht auch einmal an, obwohl man sich mit dem Thema vorher noch gar nicht beschäftigt hatte.
Gibt es spezielle gesellschaftliche oder politische Themen, über die Jugendliche besonders gerne diskutieren?
Es gibt bestimmt ein paar „junge“ Themen, aber wir merken, dass auch Themen sehr gut ziehen, die gesamtgesellschaftlich diskutiert werden und bisher nur nicht aus junger Perspektive abgebildet wurden. Unsere erfolgreichsten Videos haben sich mit Geflüchteten in Deutschland beschäftigt oder mit Anerkennung von sozialen Berufen wie der Pflege. Themen, die viele bei uns bewegen sind Armut und auch die Anerkennung von nicht akademischen Abschlüssen. Es gibt ganz viele junge Medien, die Leute ansprechen, die studieren oder studiert haben. Aber es gibt kaum junge Medien die gemacht werden für junge Leute, die sehr früh anfangen zu arbeiten und sich zum Beispiel für Hauskauf interessieren. Das ist gerade sehr spannend, sich da mal so ein bisschen vorzutasten und diese Themen auszuprobieren.
Viele der Beiträge enthalten bereits eine starke Meinung – beeinflusst man damit junge Menschen nicht in eine gewisse Richtung?
Ein Kern von „Deutschland3000“ ist, dass wir nicht nur informieren, sondern ich mich da auch mit einer starken Haltung hinstelle. Das ist etwas, das wir über Facebook gelernt haben. Wenn ich den sachlichen Pro/Contra Beitrag machen würde, teilt das niemand. Aber in dem Moment, in dem ich eine Position einnehme und Haltung beziehe, bieten wir auch eine Reibungsfläche. Ich würde mein Publikum niemals so unterschätzen, dass es diese Meinung eins zu eins übernimmt. Es bringt einfach auf neue Gedanken, wenn man sich mit einer Meinung direkt auseinandersetzten muss. Wir geben auch immer Argumente und haben Belege für das was wir sagen. Das ist auch so ein Vorwurf, der am Anfang kam: „Ihr seid ja gar nicht objektiv“. Aber ich glaube, Objektivität und Unabhängigkeit werden da oft verwechselt. Die Tagesschau muss objektiv sein, aber „Deutschland3000“ muss nicht objektiv sein, es muss „nur“ unabhängig sein.
Wenn man zum Diskutieren anregt, gerade im Internet, gibt es auch irgendwann mal Probleme mit Sachlichkeit, insbesondere bei kontroversen Themen?
Das hat mich ehrlich selber überrascht, dass das funktioniert. Man ja hört ja auch im öffentlichen Diskurs sehr viel von Shitstorms und Troll-Armeen. Wir haben auch diese Trolle – insbesondere Themen wie Abtreibung, AfD oder Geflüchtete sind Trigger. Da weiß unser Social Media Manager schon, dass er eine Sonderschicht einschieben kann. Ansonsten enstehen in unserer Community wirklich kultivierte Diskussionen. Im Rahmen der Bundestagswahl haben wir einen Beitrag gemacht, in dem ich die Kampagne der FDP mit der Kampagne der Grünen verglichen habe. Ich habe gesagt: „Die Kampagne der FDP ist richtig gut und die Grünen haben es im Vergleich dazu echt versemmelt“. Wir haben in diesem Video durchaus die Inhalte der FDP kritisiert, aber das wurde gar nicht unbedingt so wahrgenommen, zumindest nicht von 1.000 jungen Liberalen, die uns daraufhin gefolgt sind. Zwei Wochen später haben wir ein Video über die Linke gemacht, in dem wir gesagt haben, „Ihr macht ziemlich gute Oppositionsarbeit, aber wollt ihr nicht langsam auch mal an die Regierung kommen – oder seid ihr immer bloß dagegen?“ Also wieder gelobt aber auch kritisiert. Da sind uns prompt 800 neue Linke gefolgt. Diese beiden Lager begegnen sich bis heute bei uns in der Kommentarspalte. Es funktioniert tatsächlich, dass da ein politischer Austausch von verschiedenen Positionen stattfindet.
Das Interview führte Juliane Glahn
https://youtu-nocookie.be/UVsb4lVHls4
Die Videos entstanden im Rahmen der medienpraktischen Seminare des Masterstudiengangs International Media Studies (IMS) der DW-Akademie.
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