Geschichte eines Helden
„Die Anachronistin“ ist ein packendes Blog über den Widerstandskämpfer Theo Hespers. Seit Jahren erforscht Nora Hespers das Leben ihres Großvaters, der 1943 von Nationalsozialisten ermordet wurde. Anhand von Erzählungen und Originaldokumenten verfolgt sie diese berührende Familiengeschichte.
Das Blog ist in der Kategorie Wissen und Bildung für den Grimme Online Award 2018 nominiert. Wie es dazu kam, dass Nora Hespers sich entschied diese persönliche Geschichte zu veröffentlichen, verrät sie im Interview.
Warum haben Sie sich entschieden, die Geschichte Ihres Großvaters zu veröffentlichen?
Tatsächlich hatte ich – wie viele andere Menschen auch – ein völliges Übersättigungsgefühl was den Zweiten Weltkrieg angeht. Dann war 2014 das Aufkommen von Pegida. Da hatte ich schon angefangen, mit meinem Vater zu sprechen und Interviews zu führen. Ursprünglich war ein Buch geplant, aber dann habe ich Pegida gesehen und dachte: Dem muss ich was entgegensetzen. Ich wollte eine andere Perspektive zeigen, eine aus dem Widerstand. Über Nacht habe ich also dieses Projekt umgesetzt und gesagt: „Ich mache das genau jetzt.“
Wenn es erst als Buch erscheinen sollte – warum wurde es doch zu einem Blog und Podcast?
Die Pegida-Bewegung war ja schon am Start. Es dauert ewig, bis so ein Buch veröffentlich wird. Ich wollte so schnell und so unkompliziert wie möglich Menschen erreichen. Da habe ich gedacht, dass das über ein Blog und später dann den Podcast am leichtesten funktionieren kann.
Was wollen Sie mit Ihrem Blog bewirken?
Ich kann natürlich die Welt nicht retten, aber versuche, Interesse für das Thema zu wecken. Ich gehe da nicht mit dem moralischen Zeigefinger dran. Ich stelle natürlich meine Meinung dar und erkläre, wie ich zu dieser Haltung komme. Ich möchte Leute ermutigen, sich diese Geschichte anzugucken und daraus ihre Schlüsse zu ziehen.
Was ist die größte Herausforderung bei der Aufarbeitung dieser Geschichte?
Die größte Herausforderung ist, diese ganzen Quellen miteinander zu verheiraten und es so zu erzählen, dass Leute mir folgen können. Dieses Widerstandnetzwerk, welches ich inzwischen identifiziert habe, umfasst mehr als 60 Personen. Ich muss immer mal wieder den Blick auf die eine Person richten, dann die andere, dann wieder auf die Geschichte. Ich versuche auch immer, die Gegenwart mit zu erzählen. Hinzu kommt die persönliche Perspektive von meinem Vater, der mir acht bis zehn Stunden Interviews gegeben hat.
Was für Quellen verwenden Sie für die Recherche?
Im Bundesarchiv im Berlin liegen die ganzen Gestapo-Akten – ich glaube, ich habe so 500 Seiten zu Hause. Dann gibt es noch diverse andere Quellen, die sich mit den Themen beschäftigen. Ich habe schon wirklich faktenbasiertes Material. Im Nachlass von meinem Vater sind auch gerade Briefe aufgetaucht von meinem Großvater aus der Gestapo-Haft von 1942.
Wie war es für Sie, das Persönliche mit dem Geschichtlichen zu verbinden?
Ich hatte auch Phasen dazwischen, wo ich nicht so einfach weitermachen konnte, weil es nun mal wirklich sehr düster ist und Menschen grausame Schicksale erlebt haben. Wenn es um den eigenen Großvater geht ist es nochmal persönlicher. Letztendlich ist eines meiner Familienmitglieder gefoltert und umgebracht worden. Ich versuche aber mit Absicht, nicht Distanz zu wahren. Ich könnte das auch journalistisch neutral betrachten, aber ich glaube, nur wenn ich zulasse, dass es mich betrifft kann ich es authentisch wiedergeben.
Sie haben ja auch gesagt, ihr Großvater sei Ihr Held. Was fasziniert Sie an ihm am besonders?
Ich habe meinen Großvater sehr lange als etwas erlebt, was unerreichbar ist. Wie will man persönlich irgendwas erreichen was Wertschätzung bekommt, wenn es jemanden gibt, der so etwas geleistet hat wie mein Großvater? Da kommt man natürlich nie dran. Deswegen habe ich versucht zu verstehen: Wo sind die menschlichen Seiten, wo ist der Alltag und kann jeder von uns potenziell zum Held werden? Eigentlich wollte ich ihn in bisschen von diesem Sockel herunterholen und sagen: Im Prinzip war das ein normaler Mensch mit einer sehr gefestigten Haltung und ein sehr überzeugter Humanist. Das fasziniert mich tatsächlich an ihm, dass er so gradlinig ist und so sehr für seine Überzeugung einsteht, dass Menschen eben Menschen sind und nicht kategorisiert gehören nach Religion und Geschlecht.
Wann ist alles erzählt?
Es gibt noch so einiges. Dieser Podcast wird mit der Ermordung meines Großvaters am 9. September 1943 enden. Ich bin jetzt gerade bei 1937 wo diese Widerstandzeitschrift nach Deutschland geschmuggelt wurde. Ich habe kurz reingelesen und festgestellt, dass es auch hier viele Bezüge zum heutigen Tagesgeschehen gibt. Aber ich finde das sehr wichtig, weil es uns vermittelt, warum in Deutschland eigentlich niemand aufgestanden ist. Wenn so ein belgischer Priester kommt der glaubt, sowas würde in Belgien nicht passieren und drei Jahre später ist es dort genau so passiert – das erzählt uns auch etwas über den Verlauf eines solchen Prozesses. Das können wir nur im Rückspiegel sehen. Wie sich das heute in drei Jahren entwickelt hat, das wissen wir nicht.
Das Interview führte Juliane Glahn
https://youtu-nocookie.be/G8zDjRJ9Tzc
Die Videos entstanden im Rahmen der medienpraktischen Seminare des Masterstudiengangs International Media Studies (IMS) der DW-Akademie.
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