Journalismus ohne laute Töne

Screenshot der Website "piqd - handverlesenswert".
Screenshot der Website "piqd - handverlesenswert".
Screenshot der Website „piqd – handverlesenswert“.

In der Fülle von News im Internet gehen viele potentiell interessante Artikel verloren. Die Online-Plattform „piqd“ beschäftigt Kuratoren, die als Experten für ihr jeweiliges Themengebiet die interessantesten Artikel aus dem Netz picken, kommentieren und zur Diskussion stellen. Das Projekt „piqd – handverlesenswert.“ ist in der Kategorie „Spezial“ für den Grimme Online Award 2017 nominiert. Im folgenden Interview berichtet der Geschäftsführer Marcus von Jordan über die Besonderheit des Projekts und warum es wichtig ist, eine kuratierte Nachrichten- und Diskussionsplattform innerhalb des lauten Durcheinanders des World Wide Web zu haben.

Wie sind die Idee und das Projekt entstanden?

Grundsätzlich haben wir das Projekt aufgebaut, weil wir selber für uns so eine Plattform haben wollten. In diesem Spannungsfeld vom digitalen Wandel im Journalismus ist ein ganz zentrales Problem, was Social-Media aus Journalismus macht. Alles, was besonders laut, besonders schwarz, besonders weiß ist, erreicht viel Reichweite auf Social-Media-Plattformen. Und genau da ist zu wenig Platz für Fragezeichen und leise, graue Töne. Wir fanden Journalismus im Internet braucht noch einen zusätzlichen Raum, welcher eine ausgeruhtere Betrachtung ermöglicht. Dort findet man die wirklich wichtigen Dinge, frei vom sozialen Geschnatter. Der Name unserer Seite kommt vom falsch geschriebenen englischen Wort „pick it“, also ausgesucht, ausgewählt.

Wer ist die Zielgruppe, die Ihr erreichen wollt?

Wir glauben, es ist ein absolut relevantes Produkt für jeden, der an seinem Bildschirm Nachrichten konsumiert. Und das bestätigt sich auch, soweit wir da einen Überblick haben. Unsere Zielgruppe ist extrem wenig homogen. Sicherlich kann man davon ausgehen, dass es eher Leute unter 46 sind, weil dort der digitale Bruch in der Gesellschaft ist. Wir richten uns allgemein jedoch an alle und wollen für alle ein gutes Medienangebot zur Verfügung stellen.

Wie sucht Ihr Eure Autoren aus? 

Die wichtigste Maxime ist, dass es Leute sind, die sich mit dem Thema auskennen. Es sind ja bei weitem nicht nur Journalisten, sondern auch Experten, zum Beispiel aus der Politik, aus der Wirtschaft und auch aus den Medien. Erst mal müssen die Autoren Ahnung haben und sich umfassend für die Themen, über die sie bei uns „piqen“, interessieren. Denn um diese Schmuckstücke zu finden, müssen die Kuratoren sehr viel lesen über ihr Thema. Und das machen sie nicht für „piqd“, sondern weil es auch sonst beruflich wichtig für sie ist und sie sich in diesem Thema als Experten positionieren wollen. Zusätzlich versuchen wir, eine Diversität herzustellen. Es sollen nicht nur gleich viele Frauen und Männer arbeiten, sondern wir wollen auch gesellschaftlich und politisch divers sein. Das gelingt uns auch immer besser, auch wenn es natürlich nie perfekt sein kann.

Marcus von Jordan, Geschäftsführer von "piqd - handverlesenswert". Foto: Grimme-Institut / Arkadiusz Goniwiecha

Marcus von Jordan, Geschäftsführer von „piqd – handverlesenswert“. Foto: Grimme-Institut / Arkadiusz Goniwiecha

Wie wird „piqd“ und vor allem die Kuratorenschaft finanziert?

Mit unserem Investor und Gründer Konrad Schwingenstein haben wir großes Glück. Es geht ihm nicht in erster Linie um geschäftliche Optimierung, sondern um das ausprobieren neuer Strukturen und um Impact. Bis jetzt sind wir noch defizitär, denn wir bezahlen den Großteil unserer Kuratoren. Aber immer mehr Leser sind bereit, für 3€ monatlich eine Mitgliedschaft zu erwerben, die sie dann auch berechtigt, das Produkt umfassend zu personalisieren. Die „Piqer“ bilden den eigentlichen Wert von „piqd“. „piqd“ ist immer nur das, was die „Piqer“ leisten. Wir haben letztendlich nur eine Infrastruktur dafür aufgestellt und bieten jetzt sozusagen den Organisationsservice. Aber unsere Bemühungen drehen sich in erster, zweiter und dritter Linie immer um die „Picker“, um unsere Kuratoren und Kuratorinnen.

Woher und wie bekommt „piqd“ Feedback?

Wir machen immer mal wieder Umfragen in der Community und  bekommen dabei reges Feedback. Gerade weil die Leute sich bemühen, sich zu äußern, merken wir schon, dass es ganz gut funktioniert. Das Feedback fällt eigentlich durchgängig gut aus. Klar sagen die Leute uns auch, was Ihnen fehlt oder was Ihnen nicht passt. Was wir jetzt schon öfters gehört haben ist: „Hey, wäre doch schön, wenn es ein bisschen bewegter, ein bisschen lebhafter wäre.“ Dann versuchen wir eben das umzusetzen. Wir machen überhaupt nur noch das, was die Community uns sagt. Wenn man eigene Projekte entwickelt, muss man wahnsinnig mit seiner eigenen Meinung aufpassen. Man redet sich oft ein, dass man bestimmte Dinge unbedingt noch braucht. Wir sind ein großes Team, daher ist immer einer da, der plötzlich DIE Idee hat. Aber wir versuchen, wirklich nur das umzusetzen, was wir durch die Community bestätigt bekommen.

Wie wichtig ist es Dir, dass Euer Projekt ein eigenes soziales Netzwerk aufbaut?

Wir haben am Anfang ganz bewusst kein großes Augenmerk darauf gelegt, weil wir gesagt haben, dass es Social-Media ja schon gibt. Glücklicherweise ist genau das auch eine Eigenschaft, die unsere Leser sehr gerne an „piqd“ mögen, dass es nicht so laut und so ein Durcheinander ist. Jetzt wollen wir nach und nach unsere Community ein wenig beleben und sind auch optimistisch, dass uns das gelingen wird. Dabei geht es aber keineswegs um die Masse. Mir ist es nicht wichtig, dass unter jedem Beitrag 48 Kommentare stehen. Viel lieber wären uns drei gute. Deswegen gibt es bei uns auch die Regel, dass nur Premium-Mitglieder, die bereit sind, drei Euro im Monat zu zahlen, kommentieren können. Damit bauen wir auch eine kleine ‘Trollschranke’ auf und  filtern die User raus, die nur sinnlos rumhupen wollen. Sichtbar werden die, die wirklich was zu diesem Beitrag zu sagen haben. Dadurch entsteht ein Mehrwert für die anderen Nutzer und genau das muss unser Ziel sein.

Gibt es noch weitere Zukunftspläne für „piqd“?

Screenshot der Website von "piqd"

Screenshot der Website von „piqd“

Wir haben ja mittlerweile zwei Plattformen, also auch die internationale Plattform piqd.com. Insgesamt haben wir bald 50.000 User und das muss natürlich möglichst schnell noch etwas mehr werden. Unsere englische Seite piqd.com ist erst ganz am Anfang. Da haben wir auf jeden Fall noch viele Pläne und sehen da auch ein wirklich großes Potenzial. Es ist ja auch ein wirklich großer Markt. Wir stellen fest, dass es sehr spannend ist, zu lesen, was eine UNO-Angestellte aus Uganda über einen bestimmten Artikel sagt. Es ist natürlich eine ganz andere Wahrnehmung. Bei piqd.de wollen wir einerseits die Community und andererseits den podcast weiter ausbauen. Dieses Netzwerk, das wir aufgebaut haben, wollen wir nutzen, um neben dem Leseangebot auch ein Hörangebot anzubieten. Weiterhin fehlen uns noch ein bis zwei Kanäle, an denen wir gerade aber schon basteln. Generell fehlt uns das Thema Politik: Beispielsweise haben wir Wirtschaftspolitik und Netzpolitik, aber das gesamte Innenpolitische bilden wir weniger ab. Da werden wir jetzt kurzfristig reagieren, damit wir auch den Wahlkampf und die Bundestagswahl abbilden können. Dann wollen wir noch ein bisschen stärker in das Thema Technik und Mensch einsteigen: sozusagen die ethische/philosophische Reflexion dessen, was die digitale Revolution mit uns als Gesellschaft macht.

Das Interview führten Nina Gollwig und Anna Casters.

Die Interviews mit den Nominierten und die Videos sind im Rahmen eines Medienpraxis-Seminars an der Universität zu Köln entstanden.

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