Eine visuelle Metapher für die Blindheit
In Dunkelheit, eine Vielzahl von Geräuschen und Stimmen, die von überall her auf den User eindringen. Blaue Lichter visualisieren schemenhaft Menschen, Bäume. So taucht der User in die Erfahrung ein, blind zu werden. In der VR-App „Notes on Blindness“ wird er dabei begleitet von den Berichten des Schriftstellers John Hull, dessen Erfahrungen sich hier visualisiert finden. Er verlor in den 1980er Jahren sein Augenlicht und hat seine Erfahrung der Blindheit auf Audiokassetten festgehalten. Auf Grundlage dieses Tagebuches ist die von Arte France produzierte VR-App „Notes on Blindness“ entstanden, parallel zu einem gleichnamigen Kurzfilm. Mit der immersiven VR-App ist dabei eine unvergleichliche, visuelle Metapher für Blindheit gelungen, die den User in eine Welt eintauchen lässt, die er so nie zuvor gesehen hat. „Notes on Blindness“ vermittelt also eine neue und ganz besondere Sicht auf diese Welt und ist daher auch in der Kategorie „Spezial“ für den Grimme Online Award 2017 nominiert. Im Interview erzählt uns einer der Produzenten und Creative Directors Arnaud Colinart mehr über die Arbeit an „Notes on Blindness“.
Wie ist die Idee einer VR-App zum Thema „Notes on Blindness“ entstanden?
Das Projekt hat mit der Idee von zwei jungen britischen Regisseuren – Peter Middleton und James Spinney – angefangen, die einen Kurzfilm mit der New York Times drehen wollten, der auch „Notes on Bilndness“ heißt. Damit zusammen hing auch die Idee eines Features, das auf dem Kurzfilm basiert und das wir dann mit Arte koproduzierten. Peter und James hatten da eine digitale Komponente im Kopf und in der Zusammenarbeit mit Arte hat sich dann nach und nach die Idee herausgebildet, dass das Feature sich um Storytelling drehen soll. Und so begannen wir, an dem Konzept zu arbeiten. Da es ja aber ein Projekt ist, in dem es um Blindheit geht, sind wir zunächst mit der Idee eines Podcasts gestartet und hatten noch nicht an ein Virtual-Reality-Projekt gedacht. Daher stand am Anfang die Idee eines interaktiven 360°-Sound-Projekts und erst als wir gemerkt haben, dass es für das Publikum recht schwierig ist, sich auf ihr Smartphone zu fokussieren, ohne dass irgendetwas auf dem Bildschirm zu sehen ist, haben wir angefangen, visuelle Elemente hinzuzufügen. Als wir dann vom National Center of Cinematography in Frankreich gefördert wurden, haben wir ausgehend von der Idee eine 360°-Sound-Experience einen Prototyp einer VR-Version mit Google Cardboard entwickelt. Und mit Google Cardboard konnten wir dann genau die Emotionen vermitteln, die wir gebraucht haben, um das Gefühl zu vermitteln, von dieser Welt abgeschnitten zu sein. Das Cardboard hat gewissermaßen wie eine Maske funktioniert, die jemanden vor der Realität abschirmt. Deswegen haben wir das Projekt dann zu einem reinen Virtual-Reality-Projekt gemacht, was ein großer Erfolg war, aber auch Kritik in Bezug auf die Zugänglichkeit eines VR-Projekts nach sich gezogen hat und so haben wir dann das Projekt sowohl für iOS-Android und als 360°-Version veröffentlicht.
Welche Intention steht hinter „Notes on Blindess“?
Die Zeugnisse von John, die die Grundlage für die Geschichte waren, die mit „Notes in Blindness“ erzählt werden soll, waren so beeindruckend und überwältigend, dass wir mit VR (Virtual Reality) eine neue Technologie benutzen wollten, mit der wir die Geschichte auch einem anderen Publikum zugänglich machen konnten, die der Kurzfilm nicht erreicht. Wir waren also daran interessiert, eine neue Technologie zu verwenden, um eine besondere Geschichte zu erzählen und zwar so zu erzählen, wie man sie mit keinem anderen Medium erzählen kann.
„Notes On Blindness“ ist in der Kategorie „Spezial“ für den Grimme Online Award nominiert. Was ist so speziell bzw. besonders an „Notes on Blindness“?
Das Besondere ist, dass Blindheit durch Bilder dargestellt wird. Und ich denke, es ist eine der ersten Geschichten, die durch Virtual Reality erzählt wurde. Außerdem erzählt „Notes on Blindness“ mit 25 Minuten Dauer im Vergleich zu anderen Stücken eine recht lange Geschichte im VR-Format. Als wir es vor einem Jahr veröffentlicht haben, war es sogar das einzige VR-Projekt, das länger als 10 Minuten war. Eine weitere Besonderheit ist das Team, das sich sehr stark für dieses Projekt engagiert und interessiert hat und durch das wir es hinbekommen haben, zeitgleich sowohl den Film als auch das VR-Projekt zu veröffentlichen. Für beide Teile des Projekts haben wir tolle Rückmeldungen von Kritikern bekommen und beide waren Teil der Filmfestivals „Sundance“ und „Tribeca„. Der Spielfilm bekam sogar drei BAFTA Nominierungen. Ich glaube, so etwas passiert nur ein paar Mal im Leben eines Produzenten.
Warum haben Sie gerade eine VR-App ausgesucht, um Blindheit zu visualisieren?
Als wir mit dem Projekt angefangen haben, wollten wir zunächst gar kein VR-Projekt machen. Das war mehr das Ergebnis unseres Arbeitsprozesses und der Zusammenarbeit mit John Hull. Und ein wichtiges Ziel von John Hull war, einem sehenden Publikum einen Eindruck zu geben, wie es sich anfühlt, blind zu sein. Daher haben wir uns dann für VR als eine visuelle Metapher für eine Wahrnehmung entschieden, die allein auf Geräuschen basiert. Für uns war das der beste Weg, diese Geschichte sehenden Menschen zu erzählen und näherzubringen.
Gab es Probleme bei dem Versuch, Blindheit bildlich darzustellen?
Eine der ersten Herausforderungen war es, eine passende Art Direction und die richtige technische Übersetzung für die Geschichte zu finden. Das war kompliziert, weil ja alles über Smartphones laufen sollte. Hinzu kam, dass wir auf der graphischen bzw. bildlichen Ebene die richtige Balance zwischen zu vielen und zu wenigen visuellen Elementen finden mussten. Deswegen haben wir versucht, die visuellen Informationen soweit es geht zu reduzieren und trotzdem einen durchgehenden und einheitlichen visuellen Stil zu erhalten.
„Notes on Blindness“ wurde mit mehreren Awards ausgezeichnet und hat viele sehr gute Kritiken erhalten. Was fasziniert die Menschen so an Ihrem Projekt?
Ich denke, der beste Teil von „Notes on Blindness“ sind die Tagebücher von John Hull. Ohne seine Geschichte und ohne diese Aufzeichnungen hätte man nicht diese besondere und starke Erfahrung vermitteln können. Und ich denke, diese besondere und starke Erfahrung hat sowohl das Team, das hinter „Notes on Blindness“ steht, als auch die Menschen fasziniert, die sich mit „Notes on Blindness“ beschäftigt haben.
Was würden Sie sich abschließend für Ihr Projekt wünschen?
Ich hoffe, dass alle, die dieses Interview lesen, sich die App im App-Store oder Play-Store kostenlos herunterladen. Es war uns sehr wichtig, dass sie kostenlos zur Verfügung steht, damit jeder die Chance hat, diese Erfahrungen zu machen. Außerdem ist auch der Film in Deutschland bereits auf Netflix verfügbar. Daher: Ladet euch die App runter und schaut den Film.
Das Interview führten Lotta Schütt und Fedora Hartmann.
Die Interviews mit den Nominierten sind im Rahmen eines Medienpraxis-Seminars an der Universität zu Köln entstanden.
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