Deutsches Wahlverhalten auf dem Prüfstand
Wo wählt Deutschland wirklich rechts? Und wie war das vor 20 Jahren? In unserer heutigen unruhigen Zeit tauchen ständig neue Fragen, aber auch Vorurteile auf. Die Berliner Morgenpost bringt in ihrer Anwendung „Es war nicht immer der Osten“ Licht in das Gewirr aus Daten und Vorurteilen, Wahrheiten und Unwahrheiten. Anhand einer interaktiven Karte werden die Wahlergebnisse von 1990 bis 2013 aus rund 11.000 Gemeinden dargestellt. Mit Text, Video und einem Fakten-Check wird der Wahrheitsgehalt von Vorurteilen geprüft und die Geschichte der rechten Parteien und Rechtspopulisten seit 1990 aufgezeigt. „Es war nicht immer der Osten“ ist in der Kategorie „Information“ für den Grimme Online Award nominiert. Redakteur André Pätzold hat im Gespräch mehr über Hintergründe und Intentionen des Projekts verraten.
Wie ist die Idee zu dem Projekt entstanden?
Gestartet sind wir zunächst mit dem Einkauf der CDs mit den historischen Daten. Das war ein ganzer Stapel mit Daten für jede Bundestagswahl seit den 80ern. Dann haben wir überlegt und aufgrund der Geschehnisse der letzten Jahre, insbesondere 2015 und 2016, mit der Entwicklung der AfD in Deutschland, den Veränderungen in Europa und der Wahl von Trump, ist uns schnell klar geworden, dass wir das Phänomen Rechtspopulismus in Deutschland datenjournalistisch untersuchen wollen. Was wir so noch nicht gesehen hatten und gerne machen wollten, war die detaillierte Wahlkarte mit über 11.000 Gemeinden. Ausgehend von dieser wollten wir gerne die Daten zeigen, die bestimmte Muster erkennen lassen.
Wieso haben Sie sich für die Darstellung in Form einer interaktiven Wahlkarte entschieden?
Auf diese Weise haben die Nutzer die Möglichkeit der detaillierten Suche. Man kennt das ja selber: Wenn man eine allgemeine Deutschlandkarte sieht, sucht man seine Heimatgemeinde und möchte neben den allgemeinen Spitzen wissen, was in seiner Umgebung los ist. Daher versuchen wir in unserer Anwendung den Link zur eigenen Umgebung zu schaffen. Und die Interaktivität der Karte, dass man reinzoomen kann und konkrete Wahlergebnisse bekommt, führt dazu, dass der Nutzer selber Auffälligkeiten entdecken kann.
Welche Schwierigkeiten sind bei einer so umfassenden historischen Betrachtung entstanden?
Besonders schwierig war für uns, dass sich die Gemeinden mit der Zeit ändern, beispielsweise durch Gemeinde- oder Kreisreformen. Daran, alles auf der Karte auf einen Stand zu kriegen, haben wir uns zunächst ein wenig die Zähne ausgebissen. Schließlich haben wir das Problem gelöst: So wie es auf der Karte nun dargestellt ist, sind die Orte wirklich vergleichbar. Das war allerdings eine große Datenarbeit. Stellt man die Karte auf Gemeindeebene dar, stolpert man außerdem darüber, dass viele kleinere Gemeinden gar keine Briefwahl durchführen, sondern diese von der Nachbargemeinde durchführen lassen. Dies hätte es für uns sehr schwierig gemacht, die Briefwähler zuzuordnen, weshalb wir lediglich die Ergebnisse der Wahllokale darstellen. Mit dem Endergebnis sind wir trotzdem zufrieden, da auch ohne die Briefwähler ein unverzerrter Überblick vermittelt wird. Bei unserem Fakten-Check haben wir dann gesagt, das geht nicht ohne Briefwähler, daher basiert dieser auf der Ebene der Landkreise und berücksichtigt alle Wähler.
Inwiefern haben Sie die Ergebnisse überrascht?
Die größten Überraschungen haben sich aus der historischen Betrachtung ergeben. Zum Beispiel hatten wir gar nicht mehr präsent, dass noch Anfang der 90er-Jahre im Osten kaum rechte Parteien gewählt wurden. Bis 1994 konnten die rechten Parteien besonders in Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und Rheinland-Pfalz punkten. Aber in Sachsen und den Regionen, die heute in den Schlagzeilen sind, waren sie gar nicht wirklich präsent. Es war zwar nicht so, dass es in den 90ern im Osten keine rechtsextreme Tendenz gab – eher im Gegenteil, da gab es wirklich eine subkulturelle rechte Szene, die besonders gewaltbereit war, nur hat sich das in den Wahlergebnissen noch nicht widergespiegelt. Das sind Sachen, die wir selber nochmal entdeckt haben und die man jetzt vermitteln kann. Im weiteren Verlauf kann man dann schön sehen, dass das Verhalten, rechts zu wählen, von Süddeutschland immer mehr in den Osten gewandert ist und mit der AfD jetzt wieder fast ganz Deutschland erfasst wird.
Konnten Sie insgesamt einen Rechtsruck in Deutschland nachweisen?
Das konnten wir nicht. Zum einen variieren die Ergebnisse zwischen den einzelnen Regionen stark. Zum anderen, da haben wir uns auch noch einmal mit Sozialwissenschaftlern verständigt, ist es aber auch schwierig, so etwas anhand von sieben Wahlen festzustellen. Wir haben vorher viel hin und her überlegt. Zum Beispiel haben wir versucht festzustellen, in welchen Gemeinden es bei welcher Wahl zu einem Rechtsruck gekommen ist. Dabei haben wir dann sogar einen Linksruck ausgeschlossen, indem wir die Ergebnisse der Parteien links der SPD zusammengezählt haben. Dabei war ein kritischer Punkt: Welche Parteien gelten als links der SPD? Und ebenso, welche als rechtspopulistisch oder rechtsextremistisch zu werten sind. Unsere Kriterien hierfür haben wir von vornherein geklärt und uns auch angeschaut, wie die einzelnen Parteien von Jahr zu Jahr bewertet wurden.
Welche Intention steht hinter dem Projekt?
Ausgehend von aktuellen Ereignissen möchten wir anhand historischer Wahlen zeigen: Sind es wirklich die Orte, die in den Schlagzeilen sind oder waren, in denen schon immer rechts gewählt wurde? Und stimmen geläufige Aussagen und lassen sich diese statistisch belegen? Das ist der große Fokus der Anwendung und die Intention, die uns dazu gebracht hat, mal etwas genauer in den Daten zu wühlen.
Das Interview führte Laura Lin Strupat.
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Die Interviews mit den Nominierten und die Videos sind im Rahmen eines Medienpraxis-Seminars an der Universität zu Köln entstanden.
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