Der Welten-Falter
Hunderttausende gefaltete Figuren aus Papier und Blech: 35 Jahre lang schuf der promovierte Biologe Erwin Hapke in seinem Elternhaus im Kreis Unna ein Meer aus gefalteten Insekten-, Akrobaten- oder Hexenfiguren – hinter verschlossenen Türen, ganz im Geheimen. Systematisch ordnete er die Figuren in jedem einzelnen Raum an. Seine Wunschvorstellung: Aus dem Haus ein Museum zu machen. Als Hapke im April 2016 verstirbt, traut dessen Neffe Matthias Burchardt beim Betreten des Hauses kaum seinen Augen. Wissend, dass das etwas Einzigartiges und Unglaubliches ist, wendet er sich mit der Geschichte seines Onkels an WDR 3. Der freie Autor und Fotograf Thomas Köster, der als erster außerhalb der Familie Hapkes Haus besuchen und darin fotografieren durfte, kreierte daraus gemeinsam mit einem Team die Multimedia-Reportage „Erwin Hapke – Der Welten-Falter“ inklusive 360 Grad-Ansichten. Diese ist in der Kategorie „Kultur und Unterhaltung“ für den Grimme Online Award 2017 nominiert. Im folgenden Interview spricht Köster unter anderem über die Motivation und Besonderheiten der Multimedia-Reportage und was die Nominierung für ihn bedeutet.
Wer war alles an dem Projekt „Erwin Hapke – Der Welten-Falter“ beteiligt?
An dem Projekt waren insgesamt fünf Leute beteiligt. Ich habe als Autor das Konzept entwickelt, Texte geschrieben und Fotos gemacht. Stefan Röttger und Ludger Hoffacker haben die 360-Grad-Visualisierung realisiert. Tobias Baum hat am Ende bei der Produktion mitgewirkt. Und Marion Menne-Mickler hat das Projekt von Anfang bis Ende als Redakteurin betreut.
Was war die Motivation, das Projekt ins Leben zu rufen?
Ursprünglich sollte Matthias Burchardt nur im Radio von dem Projekt berichten. Marion Menne-Mickler hat aber schnell erkannt, dass das Thema zu bildgewaltig ist, um es nur im Hörfunk zu besprechen. Wir haben dann, auch weil bis zur Ausstrahlung nur wenig Zeit war, zunächst eine Fotostrecke über Erwin Hapke gemacht. Die ist ziemlich eingeschlagen, vor allem in den sozialen Medien wie Facebook. Nach den ersten Tagen hatten wir bereits zwei Millionen Klicks. Dort haben sich dann auch rege Diskussionen ergeben, die zeigten, dass das Thema eine gewisse Relevanz hatte. Das hat uns dann dazu bewogen, die Multimedia-Reportage zu machen, um mehr in die Tiefe zu gehen.
Und warum ausgerechnet als Multimedia-Reportage?
Es hat sich bei der Fotostrecke gezeigt, dass die Geschichte sich linear nicht so gut erzählen lässt. Zum einen gibt es den Menschen Erwin Hapke, zum anderen das Haus und inzwischen auch die Nachgeschichte. Deshalb wollten wir mit einer Multimedia-Reportage versuchen, diese drei Stränge der Geschichte so zu erzählen, dass sich der Nutzer seinen eigenen Zugang wählen kann.
Gab es eine bestimmte Zielgruppe oder ist das Thema an die Allgemeinheit gerichtet?
Ich hatte ehrlich gesagt als erstes die Geschichte im Auge. In Zielgruppen denke ich nicht so. Die Facebook-Debatte hat ja auch gezeigt, dass es die Leute durch alle Alters- und Zielgruppen – und über Landesgrenzen – hinweg fasziniert hat. Selbst ein Pfarrer aus Aachen hat darüber gepredigt, wie mir ein Freund später mitteilte, ein Blogger aus den USA hat die Fotostreckentexte ins Englische übersetzt; und auch Ingenieurwissenschaftler, die mit Kunst wenig am Hut haben, zeigten Interesse.
Was ist die Besonderheit an dem Projekt?
Das Besondere ist die Geschichte selbst, auf die man nicht kommen kann: So eine Geschichte muss zu einem kommen. Das große Ganze, dessen Einzelheiten sich mit der Zeit immer mehr offenbart haben, die Entdeckungen, die ich im Haus sogar vor allen anderen machen konnte, das war auch etwas Besonderes. Und der Umstand, dass die Reportage Hapkes Lebenswerk in einem Zustand konserviert, der schon verloren ist. Inzwischen sind ja schon zahlreiche Figuren von der Wand gefallen und das Papier wird wellig.
Welche Wege haben Sie eingeschlagen, um Aufmerksamkeit auf Ihr Projekt zu lenken?
Natürlich wurde nach dem Hörfunkbeitrag im Radio auf die Fotostrecke und später auf die Multimediareportage hingewiesen. Das Tolle bei dem Projekt aber war ja, dass das ansonsten wirklich von selbst gelaufen ist. Hier habe ich das erste Mal die Erfahrung gemacht, wie sich sowas in den sozialen Netzwerken einfach verselbstständigt. Das Projekt hat sich offenbar selbst vermarktet. Wobei sich die Menschen im Internet ausnahmslos sehr respektvoll und würdevoll mit der Person und dem Werk Hapkes auseinandergesetzt haben. Da gab es keinen despektierlichen Ton, was ich ebenso erstaunlich wie erfreulich fand. Das erste offizielle Aufmerksam-Machen läuft jetzt eigentlich im Kontext der Nominierung.
Was bedeutet die Nominierung des Projektes für Sie?
Das ist etwas ganz Großartiges, etwas, mit dem ich nicht gerechnet habe. Als ich gehört habe, das Projekt wird vom WDR vorgeschlagen, hab ich es schon gar nicht glauben können, weil es natürlich im Vergleich zu anderen Projekten ziemlich klein ist. Als ich dann durch einen Anruf während meines Urlaubs auf Mallorca von der Nominierung erfahren habe, hat mich das sehr glücklich gemacht. Das ist eine ganz tolle Sache und die Nominierung für den Grimme Online Award, das ist schon was.
Hat die Nominierung Auswirkungen auf das Projekt?
Die Nominierung ist sicher noch zu frisch. Aber man kann sagen, dass durch die Fotostrecke und die Multimedia-Reportage, aber auch durch die anschließende Medienresonanz offenbar auch die Lokalpolitik sanft aufmerksam geworden ist. Es gibt Signale, dass man das Erbe Hapkes irgendwie würdigen will. Dafür müsste natürlich immer noch Geld investiert werden.
Der Kunstbetrieb hat schon viel früher reagiert: Ein Zimmer im ersten Stock, das sogenannte Nietzsche-Zimmer – was so heißt, weil sich über der Tür ein aus Einzelbuchstaben gefaltetes Nietzsche Zitat findet – wurde abgebaut, um es in Zürich, im Rahmen einer Ausstellung über die Zeit in der Kunst, eins zu eins wieder aufzubauen. Die Schweizer, die den Raum abgebaut haben, und die Gruppe, die sich um den Nachlass kümmern will – eine Kunsthistorikerin, eine Künstlerin und der Leiter vom Skulpturenpark von Tony Cragg – haben alles konservatorisch sehr gut eingepackt. So konservatorisch korrekt müsste man auch an die restlichen Sachen rangehen, und das kostet natürlich viel Geld.
Wie wird es mit dem Projekt weitergehen?
Im schlimmsten Fall wird es wirklich so sein, dass unsere Multimedia-Reportage mit ihren 360 Grad- Fotos und -Videos das ist, was als virtuelles Museum von Hapkes Werk übrig bleibt. Im besten Fall ist es so, dass sich die Leute vielleicht unsere Multimediareportage anschauen, um sich zu entscheiden, ob sie sich das Haus, das ein Museum geworden ist, angucken wollen oder nicht. Ich jedenfalls habe große Lust, die Geschichte wie auch immer weiter zu begleiten. Die Geschichte ist einfach toll und das Werk absolut erhaltenswert. Von daher würde ich auch von journalistischer Seite alles tun wollen, um das Thema weiter in der Öffentlichkeit zu halten.
Das Interview führten Anita Wichert und Isabella Ott.
Um das Video anzuzeigen, ist ein Verbindungsaufbau zu YouTube erforderlich. Durch YouTube werden bei diesem Vorgang auch Cookies gesetzt. Details entnehmen Sie bitte der YouTube-Datenschutzerklärung.
Die Interviews mit den Nominierten und die Videos sind im Rahmen eines Medienpraxis-Seminars an der Universität zu Köln entstanden.
Hinterlasse einen Kommentar
An der Diskussion beteiligen?Hinterlasse uns deinen Kommentar!