Wie lebt es sich in einem Roma-Viertel?
Die freie Journalistin Laura Meschede lebte zwei Wochen in einer Roma-Familie in Suto Orizari, Mazedonien, dem größten Roma-Viertel Europas. Sie hat sich in dieser Zeit intensiv mit der Lebensform und den Umständen der Roma-Familien auseinandergesetzt. Aus ihren Erfahrungen machte sie die Online-Reportage „Kein Platz. Leben in Suto Orizari, dem größten Roma-Viertel der Welt„, um zu zeigen, wie es sich als Rom lebt und um mit Vorurteilen aufzuräumen. Laura Meschede ist in der Kategorie „Wissen und Bildung“ für den Grimme Online Award 2017 nominiert.
Woher kam der Antrieb bei Dir, Dich mehr mit dem Leben der Roma auseinanderzusetzen?
Der Gedanke kam hauptsächlich daher, dass ich mich mit Freunden über korrekte Sprache unterhalten habe und darüber, dass man Roma, genauer gesagt Sinti und Roma, sagt. Mir ist dann aufgefallen, dass ich gar nicht weiß, was überhaupt der Unterschied ist. Ich habe es dann
gegoogelt, aber zu 100 % kapiert habe ich es nicht, weil es total viele Artikel gab, die alle etwas Verschiedenes gesagt haben. Zum anderen habe ich festgestellt, wie wenig man eigentlich über Sinti und Roma weiß. Und das, obwohl von ihnen knapp 10 Millionen in Europa leben. Wenn man die Leute fragt, wissen sie meist nur, dass sie diskriminiert werden. Daraufhin habe ich mich dann gefragt, was ist das eigentlich für eine Kultur? Was macht Roma eigentlich aus? Und so kam die Idee dann mehr oder weniger zustande.
Wie bist Du auf die Familie Berisha, die Du in deiner Reportage vorstellst, gestoßen? Wurde sie Dir vermittelt oder hast Du sie dir ausgesucht?
Eigentlich habe ich sie mir schon ausgesucht. Es gab ein Projekt, das hieß “Hotel Gelem“, welches von Studenten entwickelt wurde, weil denen aufgefallen ist, wie viele Touristen in Roma-Dörfer kommen, um sich quasi diese Idylle der Armut anzusehen. Das wollten sie ändern und damit man eben nicht dadurch läuft und diese romantisierte Vorstellung der Armut hat, bieten sie die Möglichkeit einen Kontakt zu Familien herzustellen, damit man eine Woche oder ein paar Tage bei den Familien unterkommen kann, um festzustellen wie es sich dort eigentlich lebt. Und zu der Familie Berisha, über die ich geschrieben habe, sollte ich eigentlich nur zur Unterkunft kommen. Ich hatte auch schon ein anderes Mädchen, über das ich berichten wollte, die auch besser Englisch sprach und aus einer der besser gestellten Familien kam. Mir ist gar nicht der Gedanke gekommen, dass ich über die Familie, bei der ich wohne, auch schreiben könnte. Ich habe dann aber in den zwei Wochen, in denen ich da war, eine so enge Beziehung zu der Familie bekommen, die ja eine sehr bewegende Geschichte hat, dass ich mein Konzept spontan geändert habe. Mich hat die Familie so interessiert, dass ich mir gedacht habe, eigentlich sind die Familienmitglieder die spannenderen Protagonisten.
Wie war es für Dich, in der Familie zu leben und mit ihr zu wohnen?
Man ist den ganzen Tag zu zehnt in einer Wohnung, alles spielt sich sehr nah beieinander ab und ich habe halt wirklich an deren Leben teilgenommen. Ich war dann auch sehr traurig, als ich mich von ihnen verabschieden musste. Tatsächlich habe ich ja zwei Wochen bei ihnen gewohnt, aber es ist mir dann irgendwann auch einfach etwas unangenehm geworden. Die Familie hat mir ihr Wohnzimmer zur Verfügung gestellt und ich habe die einzige Couch für mich alleine bekommen, während die Anderen zu zehnt mit drei kleinen Kindern in zwei Zimmern geschlafen haben. Auch wenn ich der Familie etwas für die Unterkunft gezahlt habe, war es mir dennoch unangenehm.
Wie war das Verhältnis zwischen Dir und der Familie?
Als Journalist braucht man ja eigentlich eine gewisse kritische Distanz und bei der Familie war es so, dass ich diese am Ende fast nicht mehr hatte. Ich war fast schon zu nah dran. Ich war jeden Tag da und hatte dann auch ein sehr enges Verhältnis zu den Leuten. Mir sind sie auch persönlich sehr wichtig geworden, weswegen ich am Ende auch eine Spendenaktion gemacht habe. Man muss halt dazu sagen, dass es auch einfach unglaublich deprimierend ist dort zu leben, weil man dieses große Maß an Hoffnungslosigkeit nicht gewöhnt ist. Als ich nach den zwei Wochen bei der Familie eine WG in Skopje hatte, brauchte ich manchmal einfach einen Tag Auszeit, weil ich es nicht mehr hingekriegt habe, mit dieser Hoffnungslosigkeit umzugehen.
Wie hat sich Dein persönliches Bild der Roma durch Deine Reportage verändert?
Es hat sich stark verändert. Vor allem habe ich gemerkt, was für krasse Vorurteile ich hatte. Es ist so, dass man in Mazedonien verstärkt mitbekommt, dass Suto Orizari einen ziemlich schlechten Ruf hat. Die Leute sagen dir: „Geh da nicht hin, pass auf deine Tasche auf, sei vorsichtig, trau denen nicht.“ Ich habe das erst für rassistisch gehalten, aber dann habe ich in den ersten Wochen, in denen ich da durchgelaufen bin, meine Tasche doch auch fester gehalten und mich nicht so wohl gefühlt. Dort herrscht eine sehr offene Kultur und alle Menschen rufen dir zu und laden dich zu sich ein. Ich habe anfangs natürlich immer abgelehnt, aber irgendwann dann festgestellt, dass das alles nur Vorurteile waren. Viele von ihnen waren schon mal in Deutschland und wollten einfach mal wieder etwas Deutsch sprechen. Und das fand ich fast am krassesten: Mit was für Vorurteilen man diesen Leuten begegnet. Ich dachte immer, ich sei vorurteilsfrei, aber allein in dem Gefühl der Unsicherheit bestätigt sich dann doch wieder das Gegenteil. Anfangs hatte ich auch ein Bild von den Roma und ich muss sagen, das habe ich jetzt nicht mehr. Es gibt die Roma eigentlich nicht so richtig. Ich habe jetzt ein Bild von Suto Orizari und wie die Leute dort leben, aber mir ist klar geworden, dass es auch ganz viele andere Leute gibt, die auch als Roma bezeichnet werden, die aber ganz anders leben. Die Roma, als gesamte Gruppe, die etwas gemein hat, gibt es so einfach nicht. Norbert Mappes-Niediek, ein Roma-Experte, den ich sehr schätze, hat mal gesagt, das Einzige, was die Roma eint, ist der Blick der Anderen. Dem kann ich jetzt voll zustimmen.
Das Interview führte Lea Hirschberg.
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Die Interviews mit den Nominierten und die Videos sind im Rahmen eines Medienpraxis-Seminars an der Universität zu Köln entstanden.
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