Massendopingmittel Testosteron
Wer glaubt, dass Testosterondoping nur eine Randerscheinung ist, der hat sich schwer getäuscht. Mittlerweile ist es in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen. Selbst Ärzte und Pharmafirmen haben es für sich entdeckt und erkannt, dass sich mit der legalen Verschreibung des Männerhormons viel Geld verdienen lässt. In ihrem investigativen datenjournalistischen Longread „Lifestyle-Doping – die Männerdroge Testosteron„, der in der Kategorie „Information“ für den Grimme Online Award 2017 nominiert ist, hat sich das Team von BR Data umfassend mit diesem Thema auseinandergesetzt. Durch die Auswertung von Daten konnten erstaunliche Erkenntnisse über den Schwarzmarkt, die Zusammensetzung der illegalen Dopingmittel und die legalen Verkäufe gewonnen werden, die den Lesern anhand von Fließtext, Videos und interaktiven Visualisierungen näher gebracht werden. Im Interview gewährt uns Autorin Uli Köppen, stellvertretend für das gesamte Team, Einblicke in den Entstehungsprozess der Datenstory und die daraus gezogenen Schlussfolgerungen.
Bevor wir uns Ihrem Projekt zuwenden, klären Sie uns doch kurz über den Datenjournalismus auf.
Im Grunde ist es journalistisches Arbeiten mit Hilfe technischer Methoden. Wir versuchen, Phänomene mit Zahlen zu erfassen und diese Zahlen dann wieder mit menschlichen Schicksalen zu verknüpfen. Genau das haben wir mit diesem Projekt versucht; dass man einerseits diese Erzählform nutzt, um zu zeigen, was dieses Testosterondoping für ein krasses Ausmaß hat und andererseits ist es wichtig, die Konsumenten zu zeigen, die unter Umständen ihr Leben lang mit den Nebenwirkungen zu kämpfen haben.
Wie ist Ihr Projekt entstanden und wie kann man sich die Arbeitsprozesse vorstellen?
Dieses Projekt wurde von uns zusammen mit anderen Redaktionen im Haus initiiert und wir haben ausgehend von einer großen Datenrecherche versucht, das Thema Testosterondoping von unterschiedlichen Seiten einzukreisen und mit den Daten vom Zoll, Schwarzmarkt und Verkäufen von Pharmafirmen sowohl die illegale als auch die legale Seite zu erforschen. Dazu haben wir eine Datenrecherche durchgeführt und mit dem Zoll und einem Dopinglabor näher zusammengearbeitet, um die Daten zusammenzuführen. Darüber hinaus haben wir recherchiert, wo es noch Daten gibt und sind dabei auf die Pharmafirmen und die Verkaufszahlen gestoßen. Über diese Datenrecherche haben wir die Protagonisten gesucht, die uns dann zu der Geschichte geführt haben.
Wie haben Sie die Protagonisten gefunden und warum war es für Ihr Projekt wichtig sie zu Wort kommen zu lassen?
Nachdem wir die Fakten zusammen hatten und wussten welches Ausmaß diese Geschichte angenommen hat, sind wir auf die Fernseh- und Hörfunkkollegen zugegangen, wobei ein Hörfunkkollege von Anfang an im Boot war, und haben gemeinsam die Protagonisten gesucht. Teilweise haben dann auch die Fernsehkollegen alleine noch weitere Protagonisten gesucht, sodass wir uns die Arbeit ein bisschen aufteilen konnten. Am Ende haben wir diese Geschichte erzählen können, die Fakten und Menschen miteinander verschränkt, sodass man nicht nur trockenen Zahlen hat, sondern auch sieht, was es mit den Menschen macht, dass echte Schicksale dahinter stecken. Testosterondoping kann unter Umständen auch extreme Nebenwirkungen haben, wie zum Beispiel Männer, denen tatsächlich eine weibliche Brust wächst. Wir haben uns also nicht allein auf unsere Datenergebnisse gestützt, sondern auch mit Protagonisten arbeiten können, weshalb das, was wir herausgefunden haben, die Realität schon sehr gut eingefangen hat.
Und welche Erkenntnisse haben Sie aus Ihren exklusiven Datenauswertungen ziehen können?
Aus den Daten des Dopinglabors haben wir versucht zu ersehen, wie der Schwarzmarkt funktioniert, welche Mittel da kursieren und erkannt, dass Leute sehr riskant mit ihrem Körper umgehen. Es gibt große Schwankungen in der Konzentration von Mitteln, die da gehandelt werden und der Käufer weiß am Ende gar nicht, was er da nimmt. Diese Datenauswertungen haben uns Einblicke in den Schwarzmarkt ermöglicht, die so vorher noch nicht zu sehen waren. Als weiteren Punkt haben wir uns den legalen Markt und die Verkaufszahlen angeschaut und gesehen, dass in den letzten Jahren viel mehr verkauft wird als zuvor. Das heißt, Pharmafirmen und Ärzte haben das Männerhormon als Einnahmequelle entdeckt und ein aktives Interesse daran, dieses Mittel zu propagieren und zu verschreiben. Wir haben zusammen mit den Fernsehkollegen Interviews geführt, mit Dealern und mit Leuten, die das genommen haben und an den Nebenwirkungen leiden. Auch mit Forschern, die gesagt haben, dass das Ganze noch völlig unerforscht sei und trotzdem wird im Moment sehr viel verschrieben. Herausgekommen ist ein Rundumschlag, der uns einen besseren Blick auf dieses Phänomen werfen lässt. Testosteron ist mittlerweile zur gesellschaftsfähigen Dopingdroge geworden, sowohl auf dem legalen als auch auf dem illegalen Weg.
Welche Daten sind für dieses Projekt relevant gewesen?
Relevant sind einerseits die Zolldaten gewesen, die gezeigt haben, wie groß das Schwarzmarktphänomen mittlerweile ist und wie stark es in den Jahren angestiegen ist. Außerdem haben wir zusammen mit dem Dopinglabor insgesamt 10.000 Asservate ausgewertet, wodurch wir einen besseren Blick auf die Mittel werfen konnten, die auf dem Schwarzmarkt gehandelt werden. Dabei haben wir Schwankungen in den Konzentrationen festgestellt, also dass man keinerlei Kontrolle über das hat, was man nimmt. Und der dritte Bereich waren die Verkaufszahlen, sowohl in Stückzahl als auch in Umsatz und der Blick auf einzelne Mittel. Wir haben zum Beispiel eines gefunden, das in den letzten Jahren zum Spitzentestosteronmittel auf dem legalen Markt geworden ist und konnten dann hinterfragen, wie es zu diesen Verkaufszahlen kommt und dass das Marketing der Pharmafirmen offenbar sehr gut gefruchtet hat.
Was wollten Sie mit dem Projekt bewirken und wollten Sie auch eine besondere Zielgruppe damit ansprechen?
Eine besondere Zielgruppe brauchten wir gar nicht, weil wir festgestellt haben, dass Testosterondoping ein Phänomen ist, das sich bei Männern zwischen 16 und 65 abspielt. Das war eine so breite Interessensgruppe, dass wir gesagt haben, wir halten das Thema für relevant und deshalb haben wir uns dafür entschieden. Nachdem klar war, dass es so ein großes Phänomen ist, wollten wir zeigen, wie stark es mittlerweile in der Gesellschaft angekommen ist, dass man für einen bestimmten Lifestyle, für ein bestimmtes Aussehen bereit ist zu dopen und dass dieses Doping ganz andere Folgen haben kann als einen schönen Körper, den man im Fitnessstudio trainiert.
Sie sind in der Kategorie Informationen für den Grimme Online Award nominiert. Wie eignet sich Ihr Projekt dazu Informationen weiterzugeben?
User haben die Möglichkeit diesen Longread einerseits linear zu konsumieren, das heißt, man kann das einfach wie eine Zeitungsseite von oben bis unten lesen, man kann andererseits aber auch interaktiv mit den Grafiken interagieren und sich Dinge und Zahlen auf seine eigenen Interessen zugeschnitten näher anschauen. Und genauso haben wir das mit den Videos gemacht. Wie tief der User einsteigt, ist im Grunde ihm selbst überlassen.
Das Interview wurde geführt von Manuela da Silva Araújo und Fedora Hartmann.
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Die Interviews mit den Nominierten und die Videos sind im Rahmen eines Medienpraxis-Seminars an der Universität zu Köln entstanden.
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