Ein Konzert mit Gehörlosen
Wie man mit Leidenschaft für Musik und Gebärdensprache Hörgeschädigten die Teilnahme an einem Konzert ermöglichen kann? Die Antwort dazu: Die mit den Händen tanzt.
In dem Web-Special von hr2 Kultur werden Laura M. Schwengber und ihr Beruf vorgestellt. Als Dolmetscherin für Gebärdensprache hat sie sich darauf spezialisiert, Musik für Hörgeschädigte und Gehörlose zu übersetzen, also wahrnehmbar zu machen. In der auf dem Tool „Pageflow“ basierenden Webreportage wird aber auch den Hörenden Gelegenheit gegeben, in die Welt der Gehörlosen hineinzuschnuppern: Der Nutzer kann die von Laura in Gebärdensprache übersetzte Musik erraten und lernt, welche Klischees über Hörbehinderung sicher nicht stimmen.
„Die mit den Händen tanzt“ ist in der Kategorie „Wissen und Bildung“ für den Grimme Online Award 2017 nominiert. Das Interview mit der Autorin, Klaudija Schnödewind, gibt Aufschluss über Entstehung und Absicht des Projekts.
Was war der Auslöser für das Web-Special und wie kamen Sie auf diese Idee?
Laura M. Schwengber war zu Gast auf dem Hörfest. Das ist ein mehrtägiges Festival, das von hr2 Kultur, einem Radiosender des Hessischen Rundfunks, veranstaltet wird. Im Rahmen dieses Hörfestes gibt es eine spezielle Veranstaltung, die sich Labyrinth nennt. Das ist ein Abend, an dem man ganz viel ausprobieren kann. Wissenschaftler halten Vorträge, animieren aber auch gleichzeitig zum Mitmachen. Es gibt da ausgefallene Themen wie das von Laura M. Schwengber, die auch dort eingeladen war. Nachdem ich von ihr und ihrer ungewöhnlichen Arbeit gehört hatte, entschied ich mich, mich näher damit zu beschäftigen und ein Web-Special darüber zu machen.
Was beabsichtigen Sie mit dieser Reportage? Möchten Sie Vorurteile abbauen und mit Klischees abrechnen?
Also zum einen war zum Beispiel bei mir der Effekt, dass ich vollkommen überrascht war, dass es so etwas gibt. Ich hatte nämlich auch diese Schranke im Kopf, dass Gehörlose nicht auf ein Konzert gehen können. Und dann habe ich gehört, dass Laura Schwengber Musik in Gebärdensprache übersetzt und hab es mir angeguckt. Ich hatte selbst das Gefühl, die Musik zu spüren. Faszinierend ist, dass Laura jede Art von Musik übersetzen kann, ob Rock, Hip-Hop oder klassische Musik. Es hat etwas mit gesellschaftlicher Teilnahme zu tun, dass taube Menschen auch an solchen gesellschaftlichen Dingen teilhaben, auf Konzerte gehen und Musik genießen können. Ich wollte darauf aufmerksam machen, dass Hörgeschädigte durch die Übersetzung in Gebärdensprache an unserem Musikempfinden teilhaben können. Ich wollte damit aufzeigen, wie unberechtigt unser Vorurteil von den zwei verschiedenen Welten ist.
Wollen Sie mit Ihrem Projekt für ihren Beruf werben?
Natürlich wäre ich froh, wenn es mir dadurch gelingen sollte, für diesen wichtigen und vielfältigen Beruf des Gebärdensprach-Dolmetschers zu werben. Laura sagt selbst im Web-Special, dass es wohl sehr wenige Gebärdensprach-Dolmetscher gibt, die sich auch mit Musik beschäftigen, und dass sie gesucht werden. Man kennt Gebärdensprach-Dolmetscher bisher fast nur aus Nachrichtensendungen, aber das hier ist ja etwas ganz anderes, hier steckt viel Emotion und Humor drin. Mir ist auch klar geworden, dass jeder Gebärdensprach-Dolmetscher seine eigenen Gefühle hineinlegt und anders übersetzt oder auch mal interpretiert, und dass das wirklich eine ganz spezielle und besondere Sache ist. Laura hat schon einmal beim Eurovision Song Contest mit übersetzt. Simultanes Übersetzen ist sehr anstrengend, weshalb man sich öfter abwechseln muss. Bei der Zusammenarbeit mit den Kollegen sieht man dann auch, dass ein Lied ganz viele Gefühle, Emotionen und Stimmungen transportiert, und dass das natürlich auch bei uns allen unterschiedlich ankommt. Es kommt bei der Musikübersetzung in Gebärdensprache nicht darauf an, Wort für Wort zu übersetzen, sondern den Gesamtkontext und den Inhalt des Liedes, gemischt mit der Musik, der Stimmung, den Emotionen, die es transportiert, zu vermitteln. Laura erzählte auch, dass sie erlebt hat, wie die Menschen in Gebärdensprache mitsingen. Dieses Feedback zeigte ihr, dass sie mit ihrer Berufswahl etwas bewirkt und Hörgeschädigte zumindest in der Musikwelt integrieren kann.
Was hat es mit dem Titel auf sich? Ist er an den Titel des Films „Der mit dem Wolf tanzt“ angelehnt?
Ja, natürlich schon. Also ich habe nach einem Titel gesucht, und der Titel sollte die Leichtigkeit und Beschwingtheit ausdrücken, auf die wir bei der Gestaltung des Specials Wert gelegt haben. Er sollte nicht steif sein und nicht betroffen machen. Ich wollte die Menschen auf das Thema aufmerksam machen und es deswegen locker und humorvoll transportieren Der Titel sollte das ein bisschen widerspiegeln. Und es stimmt natürlich, sie tanzt ja wirklich mit den Händen.
Sie sind die Autorin, waren Sie denn auch an der Gestaltung der Webseite an sich beteiligt?
Ja, natürlich, ich war komplett an allem beteiligt. Ich hatte mir überlegt, was ich gerne machen würde, denn wir hatten nicht viel Zeit mit Laura, vielleicht einen halben Drehtag. Ich wollte gerne zeigen, dass das für jede Musikrichtung funktionieren kann, und dass auch junge Leute dann so etwas wie „Deichkind“ rezipieren können. Ich hatte eine wunderbare Grafikerin, die sich ganz viele Gedanken und Vorschläge gemacht hat. Wir haben dann einen Stil gefunden, den wir sehr schön finden. Laura ist ja unsere Hauptperson, das Special hat im Grunde genommen nur sie als Protagonistin, und das versuche ich herauszustellen.
War die Absicht bei der Gestaltung der Seite, dass sie ansprechend auf junge Leute wirkt?
Ja, natürlich. Laura ist ja auch jung und geht ganz oft zu jungen Konzerten wie EINSHOCH6. Sie übersetzt sehr viel für junge Leute, Hip-Hop und so weiter. Sie macht aber auch klassische Musik, was wir auf der Seite dann auch kombinieren. Es war schon die Absicht, dass die Seite peppig, modern, mit Humor und witzig wird. Wir wollten auch das Thema locker angehen, wir wollten mit Klischees aufräumen, da ja auch viel untertitelt wird, damit die Menschen nicht gleich abschalten, wenn sie einen Gebärden-Dolmetscher sehen. Durch die humorvolle Präsentation des Themas wollten wir erreichen, dass sie das Schöne und Vereinende empfinden können, das sich in dieser Art der Musikvermittlung verbirgt, und sich nicht gestört fühlen. Ich habe es im Gegenteil als bereichernd empfunden und die Musik nochmal ein Stückchen besser erleben können.
Was bedeutet die Nominierung für Sie persönlich? Werden Sie das Projekt weiterentwickeln oder eventuell Musikvideos für Gehörlose mit Laura produzieren, wie der NDR?
Das wird sich zeigen. Das Tolle an dem Projekt ist, dass es uns gelungen ist, das Thema auch crossmedial anzugehen und zu gestalten. Laura war nämlich in einer Radiosendung „Doppelkopf„, danach war sie bei dieser Veranstaltung, jetzt ist sie in diesem Web-Special, und es gab einen Beitrag über sie bei „Hauptsache Kultur„. Wir haben dieses Thema also sowohl im Fernsehen als auch in der Welle, in der Radiowelle, als auch Online aufgegriffen. Wir haben das Thema wirklich crossmedial bearbeitet – oder uns erarbeitet.
Wie war die Zusammenarbeit mit Laura M. Schwengber?
Sie ist eine ganz herzliche Person. Wir waren uns sofort nah und sympathisch. Und man ist sich ja auch nah, weil das, was sie macht, etwas ganz Intimes hat, da sie bei einer Simultanübersetzung viel von ihren eigenen Emotionen hineingibt. Wir waren dabei und sie hat tatsächlich simultan übersetzt, ganz spontan, ohne Hemmungen und perfekt. Es ist sehr speziell: Da ist laute Musik, sie tanzt mit den Händen, man fühlt mit, man ist gleich emotional involviert, und man fühlt sich so, als würde man sich schon ewig kennen.
Gibt es bereits Reaktionen zu dem Projekt und wenn ja, welche?
Ja, es gab sehr viele positive Reaktionen auf das Special. Die Leute hatten, genau wie ich, vorher noch nie davon gehört. Genau wie ich kannten sie das Thema gar nicht. Ich war ja auch noch nie auf einem Konzert, wo ich so etwas schon mal gesehen hätte. Und ja, jetzt werde ich darauf achten. Viele haben gesagt, dass es sie überrascht hat, dass es das gibt. Sie waren von Laura beeindruckt, weil sie eine so positive Ausstrahlung hat und Musik und Stimmung so gut transportieren kann.
Das Interview führte Maria Angelidou.
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Die Interviews mit den Nominierten und die Videos sind im Rahmen eines Medienpraxis-Seminars an der Universität zu Köln entstanden.
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