Ein aktuelles Portrait von Deutschland
Deutschland, deutsche Klischees sowie deutsche Eigenheiten sehen – und das aus der Perspektive von längst angekommenen Migranten aus der ganzen Welt. Dies zeigen die Videoclips des YouTube-Formats „Germania„. Das von der Produktionsfirma „Hyperbole TV“ für das Inhalte-Netzwerk „funk“ entwickelte Konzept stellt nicht die aktuelle Flüchtlingsdebatte in den Vordergrund. Vielmehr zeigt es, dass Deutschland schon längst von einer multikulturellen Gesellschaft geprägt ist.
Das Projekt ist in der Kategorie „Kultur und Unterhaltung“ für den Grimme Online Award 2017 nominiert. Im folgenden Interview spricht Bastian Asdonk, Geschäftsführer und Mitbegründer von „Hyperbole TV“, über Intention und Vorgehensweise, sowie die Zukunftspläne für „Germania“.
Welche Intention und Motivation steckt hinter dem Projekt?
Dahinter stecken verschiedene Gründe. Zum einen wollen wir nicht die aktuelle Flüchtlingsdebatte thematisieren, sondern das Thema Zuwanderung quasi mal mit 20 Jahren Verschiebung angehen. Wir wollen über die Menschen reden, die nun schon seit langer Zeit in Deutschland sind. Wie sieht das eigentlich jemand, der schon in den Siebzigern oder Achtzigern zum Beispiel aus dem Libanon, Iran oder Polen nach Deutschland gekommen ist? Das Ziel ist es, einen Ausblick in die Zukunft über die aktuellen Debatten hinaus zu geben.
Zum anderen beziehen wir uns auf den Begriff „Germania“. Deutschland ist schon ganz lange ein Land, in dem Menschen vieler Nationen leben. Im Grunde müssen wir gar nicht so tun, als wenn wir noch entscheiden würden, ob Deutschland ein Einwanderungsland wird oder nicht. Das ist doch schon längst so. Unsere Intention ist, dass man sich damit auseinandersetzt, bevor es für gut oder schlecht befunden wird.
Nach welchen Kriterien werden die Protagonisten für die Videos ausgesucht?
In erster Linie versuchen wir, eine große Brandbreite an Nationen und Geschichten zu finden. Es geht um die individuellen Geschichten. Hat jemand etwas erlebt? Zum Beispiel im Libanon, wo viele Jahre Bürgerkrieg war. Natürlich ähneln sich die Geschichten, dennoch achten wir auf eine weite Bandbreite.
Wichtig ist es auch, in der Zielgruppe von „funk“ zu sein. Da es sich an ein jüngeres Publikum wendet, suchen wir eben auch jüngere Menschen. Zusätzlich versuchen wir, immer mal wieder bekanntere Leute mit einzubinden. In diesem ganzen Web-Umfeld gibt es viele Identifikationsfiguren, mit denen sich auch viele jüngere Zuschauer identifizieren können.
Wenn wir dann eine Person haben, die wir interessant finden, wird ein Vorgespräch geführt. Hauptsächlich fragen wir nach der persönlichen Geschichte und auch nach Orten, die in ihrem oder seinem Leben eine Rolle gespielt haben. Wichtig ist auch, dass sie in Deutschland leben und einen Teil ihres Lebens auch hier verbracht haben. Damit sich nicht zu viel wiederholt, versuchen wir, mit diesen Informationen die nächsten Episoden zu planen.
Wie wird die Videoproduktion organisiert?
Der eigentliche Dreh dauert meist einen Tag. Wenn wir außerhalb von Berlin drehen, kommen natürlich noch An- und Abreise dazu. Zu beachten ist auch die benötigte Zeit für die Vorrecherche. Wir drehen tatsächlich fast jede Woche neu. So weit im Voraus können wir nicht produzieren. Außer in den Ferien oder an Feiertagen wird vorproduziert.
Zur Länge der Videos: Wenn sich Leute mit solch sperrigen Themen beschäftigen, glauben wir, dass eine kurze Form die Richtige ist. Im Grunde versuchen wir, in so einer kurzen Form möglichst viel zu übermitteln, auch mit dem Wissen, dass viele jüngere Leute solche Dinge mobil anschauen.
Warum wurde die Plattform YouTube für das Projekt ausgesucht? Gibt es hinsichtlich der Plattformauswahl schon Zukunftspläne?
Bisher bespielen wir nur YouTube mit den Videos. YouTube ist relativ selbsterklärend: Das ist nun mal der Ort, wo die meisten Videos auf der Welt konsumiert werden. Dort haben wir das stärkste Publikum und sehen ein sehr großes Potenzial. Auf Facebook schalten wir bisher nur kleine Teaser. Ab Juni werden wir mit 20 weiteren Episoden in die zweite Staffel gehen. Dabei wollen wir „Germania“ gerne als Kanal ausbauen. Wir haben es nicht so sehr als einzelnes Format verstanden, sondern mehr als eine Plattform, um über Themen wie Integration, Zuwanderung und Gesellschaft zu sprechen. Insofern werden wir versuchen, auf dieser Plattform zukünftig weitere Programme anzubieten und damit ein Publikum zu erreichen, das sich für diese Themen interessiert. In der zweiten Staffel werden wir die Videos aber wahrscheinlich auch auf Facebook veröffentlichen, da YouTube ein sehr männliches Medium ist und wir gerne auch mehr weibliches Publikum erreichen wollen.
Jede einzelne Plattform hat ihre Besonderheiten. Ich glaube, es gibt ganz wenige Formate, die man einfach über alle Plattformen streuen kann und die überall gleich gut funktionieren. Insofern versuchen wir eigentlich immer, etwas spezifisch für jede Plattform zu entwickeln. „Germania“ ist eigentlich für YouTube entwickelt, wir glauben aber, dass es auch auf Facebook funktionieren kann.
Welche Reaktionen gibt es zum Projekt?
„Germania“ wird sehr oft geschaut und gut angenommen. Man kann die Diskussionen mitverfolgen, die die Videos auslösen. Es gibt natürlich das migrantische Publikum, das erst mal die Protagonisten sieht. Und dann gibt es das deutschstämmige Publikum, das sein eigenes Land nochmal aus einer anderen Perspektive betrachtet. Im Grunde sind es also glaube ich diese beiden typischen Reaktionen: „Ich kenne die Geschichte aus meiner eigenen Biographie. Damit kann ich mich identifizieren.“ und „Das wusste ich nicht, das ist sehr interessant, denn aus dieser Perspektive habe ich noch nie auf Deutschland geschaut.“
Gibt es eine spezielle Geschichte, die Ihnen im Gedächtnis geblieben ist?
Mir persönlich fällt die Folge mit Rapper AK Ausserkontrolle ein. Er spricht darüber, wie schwer es für ihn war, einen Ausbildungsplatz, Arbeit oder irgendetwas zu finden, und wie er in die Kriminalität abgerutscht ist. Aber ich würde keine einzelne Folge herausheben wollen. Wenn man verschiedene Videos sieht, kriegt man denke ich schon ein ganz gutes Bild davon, was in Deutschland gut funktioniert und was überhaupt nicht funktioniert, was das Thema Integration betrifft.
„Hyperbole“ hat 2015 schon mal den Grimme Online Award gewonnen: Was bedeutet es für Sie, jetzt mit „Germania“ nominiert zu sein?
Wir haben uns alle sehr über die Nominierung gefreut. Wir produzieren verschiedene Formate für „funk“ sowie unsere eigenen Formate. Aber speziell Germania liegt uns allen am Herzen. Denn wir hoffen, damit ein Publikum zu erreichen, das sich normalerweise an der gesellschaftlichen Debatte nicht so sehr beteiligt. Es handelt sich um ein sehr, sagen wir mal, sperriges Thema. Es sind keine Schminkvideos oder Comedy-Geschichten. Es ist relativ anspruchsvoll und heißt auch noch „Germania“. Deshalb ist es umso schöner, dass so viele Leute es anschauen und man auch noch ausgezeichnet wird. Das ist natürlich toll für uns.
Das Interview wurde geführt von Anna Casters und Isabella Ott.
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Die Interviews mit den Nominierten und die Videos sind im Rahmen eines Medienpraxis-Seminars an der Universität zu Köln entstanden.
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