Dünn ist nicht dünn genug
Der interaktive und mit viel Liebe gestaltete Comic „Ninette – Dünn ist nicht dünn genug“ erzählt die Geschichte der 14-jährigen Janette aus Berlin, die an Magersucht erkrankt. Mit Hilfe von Therapeuten und der Unterstützung ihrer Familie und Freunde schafft sie es im Laufe der elf Folgen, die Krankheit zu besiegen und ihren Weg zurück in ein eigenständiges Leben zu finden. Zusatzinformationen, die die Themen Magersucht und Essstörung aber auch Selbstwahrnehmung und Selbstliebe tiefer beleuchten, ergänzen die Erzählung.
“Ninette – Dünn ist nicht dünn genug“ ist in der Kategorie “Wissen und Bildung“ für den Grimme Online Award 2017 nominiert. Im Interview erzählt die Regisseurin und Creative Producerin Maya Puig Eriksson von den Beweggründen und ihrer persönlichen Verbindung zum Thema.
Wie ist die Idee zum Projekt entstanden?
Wir, bei der Interactive Media Foundation, greifen die unterschiedlichsten kulturellen und bildungsrelevanten Themen auf und vermitteln diese durch digitale und interaktive Medien. So ergab es sich, dass wir vor knapp zwei Jahren angesprochen und gebeten wurden, uns etwas zum Thema Magersucht zu überlegen. Wir stecken also unsere Köpfe zusammen und besprachen, wie wir eine Geschichte entwickeln können, die die Thematik realistisch und doch irgendwie unterhaltsam darstellt. Sie sollte nicht trocken und langweilig, aber eben auch nicht innerhalb von fünf Minuten zu Ende erzählt sein, denn schließlich handelt es sich in den meisten Fällen um keinen einfachen Krankheitsverlauf. Deswegen entschieden wir uns, insgesamt elf Folgen zu konzipieren. So konnten wir Betroffenen beispielsweise auch zeigen, dass es kein gradliniger Weg zur Genesung ist, sondern dass es auch Rückschläge geben kann, die es zu bewältigen gilt. Im Spätsommer 2016 wurde unsere Geschichte von Janette dann schließlich im Netz veröffentlicht.
Was ist das Ziel des Projekts?
Unser Ziel ist es, vor allem Aufklärungsarbeit in unserer Kernzielgruppe, junge Mädchen im Alter zwischen 12 und 15 Jahren, zu leisten. Sie sollen auf eine sehr ansprechende Art und Weise erreicht und an das Thema Magersucht herangeführt werden. Wichtig dabei war es uns, sie in Form einer Geschichte abzuholen, in der sie sich mit den auftretenden Figuren und Charakteren identifizieren können. Auch soll die Zielgruppe nicht das Gefühl haben, von oben herab belehrt zu werden, sondern auf Augenhöhe Informationen über die Thematik erhalten.
Warum haben Sie einen interaktiven Comic für die Darstellung gewählt? Was ist die Besonderheit daran?
Das Schöne an Comics ist, dass sie in der Kombination von Bild und Wort einfach Geschichten vermitteln können. Es ist ein Medium, das sehr nah an den Jugendlichen dran ist und in seinem eigenen Tempo gelesen werden kann. Ein interaktiver Comic, wie wir ihn gewählt haben, erlaubt es uns, weitere Informationen zum Thema zu integrieren und die Leser über die Erzählung hinaus aufzuklären. Die Zusatzinformationen, die in Zusammenarbeit mit Experten auf diesem Gebiet erarbeitet wurden, sind an inhaltlich und thematisch passende Orte in den Folgen platziert, sodass man immer mehr über die Krankheit von Janette aber auch über das Thema Magersucht im Allgemeinen lernt. Das Besondere ist also, dass wir mit dieser Präsentationsform über Bilder und Worte das Erzählen einer Geschichte und die Vermittlung von zusätzlichem Input kombinieren konnten.
Gibt es bei Ihnen oder Ihrem Team eine persönliche Verbindung zum Thema?
Ich persönlich kann sagen, dass es in meinem näheren Umfeld eine Person gab, die an Magersucht erkrankt und letztlich deswegen verstorben ist. Auch in meinem familiären Umfeld gibt es Berührungspunkte mit Essstörungen oder Bulimie. Demnach geht mir die Thematik sehr nahe und es war mir wichtig, mein komplettes Herzblut in dieses Projekt zu stecken. Über die Aufklärungsarbeit zum Thema Magersucht hinaus motivierte mich neben meiner persönlichen Verbindung aber auch, weitere Figuren in der Geschichte von Janette zu schaffen, die positive Rollen einnehmen und diese auch nach Außen transportieren. Charaktere, die Zuspruch leisten, mutig sind, sich engagieren und zu ihren Kurven stehen. Diese sind auch in der heutigen Zeit sehr wichtig.
Können Sie uns etwas mehr über die Darstellungsweise der Krankheit im Comic erzählen? Sie wählten dafür ja ein sehr dünnes Mädchen mit rosafarbenem Haar …
Das ist Ninette. Sie entstand aus unserer Recherche heraus. Denn wenn Magersüchtige selbst ihre Krankheit beschreiben müssen, dann sprechen sie oft von einer Person, die einen Namen trägt. Sie personifizieren sie also. Dies kam uns in gewisser Weise auch für das Storytelling zu Gute, weil es natürlich sehr schwer ist, etwas in einem Comic darzustellen, das nur innerlich stattfindet.
Zu Beginn der Geschichte denkt man über Ninette vielleicht, dass sie eine reale Person ist, die ab und zu mal auftaucht. Aber im Laufe der Erzählung realisiert man immer mehr, dass sie ein Teil von Janette ist, also die Erscheinung des Krankheitsbildes, die so nicht existiert. Das geht dann soweit, dass sie eben nicht mehr getrennt von ihr ist, sondern eigentlich komplett in sie übergeht, sie verschmelzen quasi. Ab diesem Zeitpunkt ist Ninette dann als Schatten von Janette dargestellt und hat sozusagen komplett die Kontrolle über das Mädchen gewonnen. Dann ist es für Janette eben nicht nur eine Auseinandersetzung mit ihrer Krankheit, sondern auch eine Auseinandersetzung damit, Ninette wieder aus ihrem Sein zu verbannen und zu sich selbst zurückzufinden – was dann glücklicherweise auch klappt.
Welches Feedback haben Sie aus der Öffentlichkeit erhalten?
Wir haben wirklich sehr viel tolles Feedback zu unserem Projekt erhalten. Beispielsweise haben uns Betroffene erzählt, dass sie sich mit der Geschichte identifizieren können und sich total verstanden fühlen. Was mich persönlich auch sehr gefreut und berührt hat, war, dass wir auch Eltern, die ja nun nicht direkt die Zielgruppe sind, für uns aber auch immer wichtig waren, erreichen. Da gab es zum Beispiel einen Vater, der sagte, dass er nun zum ersten Mal verstanden habe, was die Krankheit mit seiner Tochter angestellt hat. Dass es eigentlich die ganze Zeit die Magersucht war, die die Überhand gewonnen hatte und nicht sie selbst. Für uns ist so etwas natürlich ein wunderbares Geschenk, zu wissen, welche positiven Auswirkungen “Ninette – Dünn ist nicht dünn genug“ auf die Öffentlichkeit hat und was wir damit erreicht haben.
Könnte es eine Fortsetzung des Projekts bzw. der Geschichte geben?
Ich glaube, für die arme Janette wünschen wir uns jetzt, dass sie gesund bleibt. Was für uns natürlich super ist, ist, dass das Projekt weiterlebt und aktiv genutzt wird, vor allem in einem professionellen Rahmen – sei es in Workshops oder in der schulischen Präventionsarbeit. So entstehen auf Basis unserer Arbeit viele weitere kleine Projekte, die die Geschichte von Janette und ihrem Kampf zurück ins Leben noch breiter streuen. Was wir uns natürlich vorstellen könnten, wenn Interesse bestünde, wäre, die Geschichte in einem weiteren Medium zu erzählen, um die Menschen zusätzlich zum Comic mit einer anderen Form der Darstellung zu erreichen.
Das Interview führten Kathrin Krok und Sabrina Eggert.
Um das Video anzuzeigen, ist ein Verbindungsaufbau zu YouTube erforderlich. Durch YouTube werden bei diesem Vorgang auch Cookies gesetzt. Details entnehmen Sie bitte der YouTube-Datenschutzerklärung.
Die Interviews mit den Nominierten und die Videos sind im Rahmen eines Medienpraxis-Seminars an der Universität zu Köln entstanden.
Hinterlasse einen Kommentar
An der Diskussion beteiligen?Hinterlasse uns deinen Kommentar!