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Von Facebook ins Museum

Eine Jurte weist schon vor der Bonner Bundeskunsthalle auf die Ausstellung "Touchdown" hin. (Wer's nicht kapiert: Jurte - Mongolei - Mongolismus, eine früher gängige Bezeichnung für das Down-Syndrom.) Foto: Vera Lisakowski
Eine Jurte weist schon vor der Bonner Bundeskunsthalle auf die Ausstellung "Touchdown" hin. (Wer's nicht kapiert: Jurte - Mongolei - Mongolismus, eine früher gängige Bezeichnung für das Down-Syndrom.) Foto: Vera Lisakowski
Eine Jurte weist schon vor der Bonner Bundeskunsthalle auf die Ausstellung „Touchdown“ hin. (Wer’s nicht kapiert: Jurte – Mongolei – Mongolismus, eine früher gängige Bezeichnung für das Down-Syndrom.) Foto: Vera Lisakowski

„Ich habe eine Regel: Ich bin mit niemandem auf Facebook befreundet, mit dem ich nicht mindestens einen Kaffee getrunken habe“, erzählt die Humanbiologin Katja de Bragança. Aber was hat das mit der Ausstellung „Touchdown“ zu tun, die in der Bundeskunsthalle Bonn noch bis zum 12. März 2017 läuft? Henriette Pleiger, die als Ausstellungsleiterin an der Bundeskunsthalle arbeitet, war eine Facebook-Bekanntschaft. Und so trafen sich die beiden auf einen Kaffee. Man kam ins Erzählen, unter anderem über das Forschungsprojekt „Touchdown21“ zum Down-Syndrom, das Katja de Bragança leitet. Ein spannendes Projekt, zu dem es auch eine Ausstellung geben sollte, fand Henriette Pleiger. Und dann? „Wir haben uns Mühe gegeben, so schnell zu forschen, wie die Ausstellung in Schwung kam“, bekennt Katja de Bragança.

Die Leiterin des Forschungsprojektes Katja de Bragança, die Übersetzerin in klare Sprache, Anne Leichtfuß und Beiratsmitglied Julia Bertmann (v.l.) binden zusammen die letzten Stangen der Jurte fest. Foto: Vera Lisakowski

Die Leiterin des Forschungsprojektes Katja de Bragança, die Übersetzerin in klare Sprache, Anne Leichtfuß und Beiratsmitglied Julia Bertmann (v.l.) binden zusammen die letzten Stangen der Jurte fest. Foto: Vera Lisakowski

Schon lange arbeitet Katja de Bragança mit Menschen mit Trisomie 21 zusammen. Sie gründete das Magazin „Ohrenkuss“ und ist verantwortlich für die zum Forschungsprojekt gehörende Website, die in diesem Jahr für den Grimme Online Award nominiert war. Im Projekt „Touchdown21“ erforschen Menschen mit und ohne Down-Syndrom gemeinsam den Alltag von Menschen mit Down-Syndrom – und das ist auch Thema der Ausstellung, die ebenfalls in Kooperation von Menschen mit und ohne Down-Syndrom entstand, so zum Beispiel im Beirat, wie Julia Bertmann erläutert: „Der Beirat besteht aus drei Personen und wir drei mussten drüberkucken ob die Wissenschaftler alles richtig machen, ob die Ausstellung so ist, wie wir es wollen.“

Landung von einem fremden Planeten

Hochzeitsanzug des Künstlers Pascal Tassini und Brautkleid der Künstlerin Birgit Ziegert im Raum "Hier und Jetzt" der Ausstellung "Touchdown" in der Bonner Bundeskunsthalle. Foto: Vera Lisakowski

Hochzeitsanzug des Künstlers Pascal Tassini und Brautkleid der Künstlerin Birgit Ziegert im Raum „Hier und Jetzt“ der Ausstellung „Touchdown“ in der Bonner Bundeskunsthalle. Foto: Vera Lisakowski

Für die Ausstellung haben sich die Macher eigens eine Geschichte ausgedacht, die die Räume verbindet: Vor 5.000 Jahren sind Menschen mit Down-Syndrom von einem fremden Planeten auf der Erde gelandet und leben seitdem hier. Jetzt reist die „Second Mission“, eine Forschungsmission mit sieben Mitgliedern und einem Hund, hinterher, um herauszubekommen wie die Menschen mit Down-Syndrom bisher auf der Erde gelebt haben, wie es ihnen derzeit geht und wie es in Zukunft aussehen könnte.

Schon im Eingangsbereich wird die Mission mit Comiczeichnungen von Vincent Burmeister dargestellt, die Figuren werden liebevoll charakterisiert. So ist die Kapitänin der Mission nicht nur stark und macht Kampfsport, sondern auch ziemlich eitel und beschäftigt sich viel mit ihren Haaren und die Missionshündin frisst nur Bananen. Ihre Forschungsreise beginnt im „Hier und Jetzt“, einem Raum in dem Menschen mit Down-Syndrom über sich Auskunft geben und ihren Alltag beschreiben. Dies geschieht mit Audios aber auch mit Texten zu Ausstellungsstücken. Beiratsmitglied Julia Bertmann zum Beispiel berichtet zu ausgestellter Wurst von der Wursttheke im Supermarkt, wo sie beim Einkaufen immer geduzt wird. Auch nach mehrfachen Hinweisen wurde sie nicht gesiezt – woraufhin Bertmann den Geschäftsführer zu sprechen verlangte. Hand auf’s Herz: Wer hätte gedacht, dass Menschen mit Down-Syndrom so durchsetzungsfähig sein können? Aber auch: Wer hätte gedacht, dass es in Deutschland keine Statistik zu Menschen mit Down-Syndrom gibt? In diesem Raum lernt man auch, dass nicht bekannt ist, wie viele Menschen mit Trisomie 21 in Deutschland leben.

Reise durch die Zeit

Fotos die John Langdon Down ab 1862 im Earlswood Heim für Menschen mit geistiger Behinderung machte. Foto: Vera Lisakowski

Fotos die John Langdon Down ab 1862 im Earlswood Heim für Menschen mit geistiger Behinderung machte. Foto: Vera Lisakowski

In den folgenden Räumen reisen die Forscher weiter in die Vergangenheit, befassen sich mit der Frage, ob die mexikanischen Olmeken vielleicht Menschen mit Down-Syndrom verehrten und erzählen die Geschichte von John Langdon Down, dem englischen Arzt, der 1866 die Merkmale der genetischen Abweichung als erster beschrieb. Von ihm geht es direkt weiter zu den schrecklichen Aspekten der Vergangenheit: Auch Menschen mit Trisomie 21 waren unter den Euthanasie-Opfern der Nationalsozialisten.

Im vorletzten Raum begibt sich die Mission wieder in die Gegenwart: Es geht um die Erforschung des Down-Syndroms. Am hier platzierten Mikroskop kann sich der Besucher jenen Samstag von Genetikern ihre Arbeit erklären lassen. Es wird gezeigt, dass Menschen mit Down-Syndrom auch lernen und sogar studieren können, aber auch das Thema Früherkennung in der Schwangerschaft wird angeschnitten. Wie auch im ersten Raum werden die Erklärungen und Gegenstände von Kunstwerken flankiert, die sich mit den dargestellten Themen beschäftigen. Ob die Kunstwerke von Künstlern mit oder ohne Down-Syndrom stammen, wird nicht sofort klar – und ist wahrscheinlich auch irrelevant.

Ausstellung für alle

Holzfigur des Künstlers Otto Keuler, rechts davon ein großformatiger bunter bestickter Wandteppich der Künstlerin Birgit Ziegert. Foto: Vera Lisakowski

Holzfigur des Künstlers Otto Keuler, rechts davon ein großformatiger bunter bestickter Wandteppich der Künstlerin Birgit Ziegert. Foto: Vera Lisakowski

Die Kunst wirkt ein bisschen wie Beiwerk in dieser für die Bundeskunsthalle so ungewöhnlichen Ausstellung, wenngleich Direktor Rein Wolfs behauptet: „Die Ausstellung ist keine Inklusionsausstellung, sondern eine Kunstausstellung, eine kulturhistorische Ausstellung.“ Inklusiv ist die Ausstellung auf jeden Fall: Es gibt Tandem-Führungen von jeweils einem Kulturvermittler mit und ohne Down-Syndrom, Führungen in Gebärdensprache und für Hörgeschädigte und beschreibende Führungen für Blinde. Und natürlich sind alle Texte der Ausstellung in klarer Sprache verfasst – eine erfrischende Abwechslung zum üblichen Kunsthistoriker-Geschwurbel und so gut geschrieben, dass man nicht das Gefühl hat, auf Informationen verzichten zu müssen.

Umfassend kann die Ausstellung das Thema nicht behandeln, aber einen interessanten, auch berührenden Einblick geben in das Leben von Menschen mit Down-Syndrom. Die Geschichten und Gegenstände sind so sorgfältig zusammengetragen und präsentiert, dass man den Missionsteilnehmern, die im allerletzten Raum diskutieren, ob sie auf der Erde bleiben oder wieder zurückfliegen werden, zurufen möchte: Bleibt! Macht weitere Ausstellungen – nicht nur über das Down-Syndrom.

Zur Ausstellung ist mit Unterstützung der Bundeszentrale für politische Bildung ein sehr ausführliches und informatives begleitendes Buch erschienen. Viele Texte der Ausstellung finden sich auch auf der Website „Touchdown 21„.

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