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Mit Twitter Rassismus aufdecken

Gründer Alexej Hock (l.) und Johannes Filous. Foto: Jan Zappner

Die Terrorzelle NSU, gewaltgeladene HoGeSa-Ausschreitungen am Kölner Hauptbahnhof und regelmäßige Aufmärsche der neuen Wutbürger-Front Pegida – Deutschland hat ein rechtes Problem. Johannes Filous und Alexej Hock, die Gründer des Twitter-Projekts „Straßengezwitscher„, setzen genau an bei dieser Thematik an. Sie wollen durch eine Live-Berichterstattung über rechte Kundgebungen Fremdenfeindlichkeit aufdecken. Das Projekt ist in der Kategorie Information für den Grimme Online Award 2016 nominiert. Johannes Filous spricht im Interview darüber, warum sein Bürgerjournalismus via Twitter einen öffentlichen Diskurs über Rassismus auslöst und beschreibt lebensbedrohliche Situationen bei der journalistischen Begleitung rechter Demonstrationen.

Wie ist die Idee für Ihr Twitter-Projekt „@streetcoverage entstanden?

Im März 2015 hatten Flüchtlinge vor der Semperoper in Dresden ein Protestcamp aufgebaut und an einem Montag gab es eine Pegida-Demonstration. Knapp 150 aggressive Menschen sind zum Protestcamp gezogen, um es eigenmächtig zu räumen. Sie haben „Weg mit dem Dreck!“ und „Räumen! Räumen!“ gerufen und die Polizei war sehr spät da. Es war eine beängstigende Situation. Alexej Hock und ich waren damals vor Ort und haben diese Verletzung der Menschenwürde der Menschen im Protestcamp mit ansehen müssen. Am nächsten Tag war das kein Diskurs. Niemand hat sich damit beschäftigt. Wir fanden es ein Unding, dass man in unserer offenen Gesellschaft die Würde des Menschen verletzen kann, ohne, dass das ein Thema ist. Aus dieser Ohnmacht heraus, dass darüber nicht berichtet wurde und andere Menschen, die nicht in Dresden leben, nichts davon gewusst haben, haben wir uns gedacht, dass wir das ans Licht bringen müssen, damit man sich damit auseinandersetzt.

Wie sieht Ihre Arbeitsweise aus?

Alexej Hock (l.) und Johannes Filous mit EU-Parlamentspräsident Martin Schulz. Foto: @streetcoverage

Alexej Hock (l.) und Johannes Filous mit EU-Parlamentspräsident Martin Schulz. Foto: @streetcoverage

Die Idee an sich ist, dass man hinschaut, wenn es um Rassismus und Fremdenfeindlichkeit geht. Wir wollten von Anfang an ein journalistisches Projekt machen – kein aktivistisches. Wir wollen Menschen rohe Informationen bereitstellen, die dann zu einem gesellschaftlichen Diskurs beitragen. Als ersten Schritt recherchieren wir über Facebook, weil Rechte dort sehr professionell mobilisieren. Diese Anzeichen nehmen wir immer sehr ernst. Deshalb waren wir auch weit vor den etablierten Medien in Heidenau oder Freital. Wir begleiten rechte Veranstaltungen – auch unangekündigte. Wir bilden ab, was wir sehen. Wir nutzen Twitter und müssen mit 140 Zeichen sehr präzise sein. Dabei verwenden wir Fotos und Videos. Es ist unser Ziel, dass das von uns Veröffentlichte nachweisbar ist. Sozialen Medien wird oft vorgeworfen, dass sie zwar schnell sind, aber Falschinformationen verbreiten. Wir wollen zeigen, dass soziale Medien konstruktiv für die Gesellschaft genutzt werden können. Viele Nachrichtenagenturen und Zeitungen arbeiten deshalb mit unseren Informationen.

Wie groß ist Ihr Team?

Wir haben zu zweit angefangen. Ganz wichtig ist eine Beständigkeit, weil Rassismus dauerhaft in der Gesellschaft brodelt. Das können wir zu zweit nicht stemmen. Wir betreiben Bürgerjournalismus und haben unser Team in Dresden vergrößert. Mittlerweile haben wir auch jeweils ein Team in den Regionen rund um Leipzig und Chemnitz. Wir wollen Menschen dazu ermutigen, Bürgerjournalisten zu werden. Da ist Twitter eine gute Möglichkeit, aber wir möchten unsere Kanäle erweitern. Deshalb haben wir eine Informationsplattform gestartet, die zurzeit programmiert wird. Unsere Arbeitsrichtlinien stellen wir dort zur Verfügung und Menschen können als Bürgerjournalisten Teil unseres Teams werden, wenn in ihrem Ort eine rechte Kundgebung stattfindet. Wir schulen sie natürlich vorher. Diese Plattform können auch Journalisten weltweit als erste Anlaufstelle für Recherchen nutzen.

Berichten Sie insbesondere über Geschehnisse aus dem Osten Deutschlands?

Wir berichten zurzeit ausschließlich aus Sachsen, weil wir genau hinschauen und beständig sein wollen. Das schaffen wir aber zurzeit noch nicht einmal in Sachsen. Deshalb bauen wir das Projekt auch aus, um Sachsen komplett abzudecken. Das soll natürlich idealerweise wachsen. Es kann ein deutsches, europäisches oder internationales Projekt werden.

Im Zuge gewaltbereiter Rechter wird es bei einer Live-Berichterstattung gefährlich. Ist es für Sie jemals zu einer riskanten Situation gekommen?

Es kommt mit einer erschreckenden Regelmäßigkeit zu Übergriffen und mindestens auch zu Eingriffen in die Pressefreiheit, etwa bei der Informationsbeschaffung. Häufig erleben wir, dass wir uns die Informationen nicht gefahrlos beschaffen können. Wir wurden tätlich angegriffen. Bei einer AfD-Demonstration 2015 in Dresden erfolgte ein Angriff auf mich: Als wir ein Video vom Demonstrationszug gemacht haben, hat mir ein Demonstrant auf den Arm geschlagen. Als Pegida 2015 das einjährige Jubiläum feierte, hat ein Demonstrant Alexej Hock in den Rücken getreten. Es kam auch vor, dass wir nicht ausreichend geschützt wurden. Trotzdem stehen wir für unser Projekt mit unserem Namen. Wir werden uns nicht verstecken, weil wir Informationen anbieten.

Wurden Sie in diesem Zusammenhang von Rechten im Internet zur Zielscheibe?

Vereinzelt gibt es Twitter-Posts, in denen man uns Angst machen möchte. Aber wenn über Facebook über uns berichtet wird, sind die Kommentare viel schlimmer. Wir wurden auch schon bedroht und unsere Fotos wurden veröffentlicht mit Bildunterschriften wie „Der größte Lump im eigenen Land ist und bleibt der Denunziant.“ Aus den Kreisen der rechtsterroristischen Vereinigung in Freital wurden auch schon Fotos von uns veröffentlicht und wir wurden damit zum Abschuss freigegeben.

Sie engagieren sich ehrenamtlich für Ihr Projekt. Was machen Sie beruflich?

Ich bin Medizinstudent. Alexej Hock hat in Dresden Maschinenbau studiert und hat am Tag, als er im letzten Jahr angegriffen wurde, sein Diplom verteidigt. Er ist jetzt in Richtung Journalismus gegangen, hatte aber vorher schon einen eigenen Blog. Wir haben einige angehende Journalisten im Team und einen Chemiestudenten. Ebenso einen Rettungsassistenten. Unser Team ist für jeden zugänglich. Dazu muss man kein ausgebildeter Journalist sein. Wir haben jetzt deshalb den Verein Straßengezwitscher e.V. gegründet, um das, was wir machen, nach außen zu tragen. Wir wollen die Art und Weise des aufklärerischen Arbeitens damit weitergeben.

Wie könnte sich ein Gewinn des Grimme Online Award 2016 positiv auf Ihr Twitter-Projekt „Straßengezwitscher“ auswirken?

Alexej Hock (l.) und Johannes Filous bei der Bekanntgabe der Nominierungen zum Grimme Online Award 2016. Foto: Grimme-Institut / Rainer Keuenhof

Alexej Hock (l.) und Johannes Filous bei der Bekanntgabe der Nominierungen zum Grimme Online Award 2016. Foto: Grimme-Institut / Rainer Keuenhof

Da gibt es viele Möglichkeiten. Der Gewinn schafft eine Öffentlichkeit, die das Projekt den Menschen verstärkt zugänglich macht, um Teil des Projektes zu werden. Das ist eine ungemeine Anerkennung der Arbeit, auch der Menschen, die im Hintergrund in unser Projekt involviert sind. Es ist eine Ermutigung für Menschen, genau hinzuschauen und die sozialen Medien als Instrument für ein konstruktives Zusammenleben zu sehen. Natürlich ist es auch für uns ein großer Ansporn, so weiterzumachen und das weiterzugeben.

Autorin: Norya Jesse

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Die Interviews mit den Nominierten und die Videos sind im Rahmen eines Medienpraxis-Seminars an der Universität zu Köln entstanden.

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