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Über Liebe. Und über Zweifel.

So in etwa sieht das Team des Grimme Online Award auch beim Sichten aus. Foto: Grimme-Institut / Georg Jorczyk
So in etwa sieht das Team des Grimme Online Award auch beim Sichten aus. Foto: Grimme-Institut / Georg Jorczyk
So in etwa sieht das Team des Grimme Online Award auch beim Sichten aus. Foto: Grimme-Institut / Georg Jorczyk

Über 1.000 Vorschläge gehen jedes Jahr zum Grimme Online Award ein. Sie werden im Grimme-Institut alle vorab geprüft und natürlich gehen wir mit einer gewissen Erwartungshaltung an diese Sichtungsarbeit heran. Die aber hat sich geändert im Laufe der Jahre – und das hängt sicher auch mit den Veränderungen bei publizistischen Angeboten im Netz zusammen.

Ein bisschen schade ist das Misstrauen, das schon fast zur Grundhaltung gehört. Natürlich haben wir früher auch geprüft, wer hinter einem Angebot steckt, aber ein kleines Blog war im Regelfall privat und aus Enthusiasmus betrieben, nur hinter größeren Portalen steckten unter Umständen Firmen mit Eigeninteresse. Und heute? „Corporate Journalism“ kann durchaus hochwertig sein, guter Journalismus wird eben nicht mehr einfach nur von etablierten Medienhäusern finanziert. Aber auch bei kleineren Angeboten müssen wir uns inzwischen fragen, was dahinter steckt: Sieht ein Blog, insbesondere auch zu einem Nischenthema, richtig gut aus, fragen wir uns sofort: „Warum macht der das?“ Wir suchen nach Affiliate-Links oder nach Vernetzungen zu anderen Seiten, die dahinter stecken. Ist ein Restauranttipp wirklich unabhängig, oder hat der Betreiber dafür gezahlt? Was hat der Verfasser für einen Produkttest bekommen? Wie finanzieren sich Blogger? Oft wird ja transparent gemacht, wenn Produkte zur Verfügung gestellt oder Reisen finanziert wurden – was übrigens im Tageszeitungs- oder Magazin-Journalismus auch gerne unterlassen wird. Aber wo nichts steht? Können wir dann davon ausgehen, dass es keine Schleichwerbung gibt? Oder müssen wir davon ausgehen, dass es sie gibt?

Wir wissen dass die Finanzierung von Journalismus schwerer denn je ist, selbst wenn sich hier neue Möglichkeiten aufgetan haben und „paid content“ an Akzeptanz gewonnen hat. Keine Frage: Auch wir möchten, dass die Betreiber von Websites von ihren Angeboten leben können. Aber: Wir müssen auch schauen, von welchen Interessen sie gesteuert sind. Und die zunehmende Professionalisierung macht es uns schwer, zu differenzieren. Die positive Grundhaltung, bei der wir einfach nur Liebe zum Thema annehmen, ist oft weg.

Was ragt heraus?

Die Professionalisierung bringt aber auch mit sich, dass erfolgreiche Themen von vielen behandelt werden. Elternblogs, Reiseblogs, Gadgetblogs – damit kann man Geld verdienen, das wird oft kopiert. Vor einigen Jahren noch haben wir zum Beispiel aktiv nach Eindrücken aus fremden Ländern gesucht, uns gefreut, wenn uns das Internet diese Welt erschlossen hat, wenn jemand den ganz persönlichen Reiseführer gegeben hat. Heute können wir Reiseblogs – ganz ehrlich – oft nicht mehr sehen. Wo es viele sehr gute gibt, ragt eben keins mehr heraus. Ähnliche Schwierigkeiten haben wir in diesem Jahr ganz besonders auch mit Flüchtlingsthemen. Schon 2015 waren sie zahlreich unter den Vorschlägen und es wurden auch einige, sehr unterschiedliche, nominiert. In diesem Jahr schlägt sich das dominierende Thema Flucht und Flüchtlingskrise so stark in den Vorschlägen nieder, dass wir oft nicht mehr unterscheiden können, ob wir das bereits gesehen haben, oder ob es eine neue Einreichung ist. Eine so starke Themendominanz hatten wir noch nie.

Die Technik stimmt

Die Preisträger für die erste mit dem Tool "Pageflow" erstellte Reportage "Pop auf'm Dorf" im Jahr 2014 auf der Bühne. Foto: Grimme-Institut / Jens Becker

Die Preisträger für die erste mit dem Tool „Pageflow“ erstellte Reportage „Pop auf’m Dorf“ im Jahr 2014 auf der Bühne. Foto: Grimme-Institut / Jens Becker

Aber nicht nur einzelne Themen, auch die Technik ähnelt sich oft. Versteht uns nicht falsch: Wir lieben Pageflow & Co. Nicht umsonst hat der WDR 2014 auch dafür einen Spezialpreis bekommen, dass er das Tool zur freien Verfügung gestellt hat. Und es ist toll, dass so viele Anbieter dieses und andere Multimedia-Reportage-Tools nutzen. Das bedeutet aber auch, dass die Nominierungskommission hier noch viel stärker unterscheiden muss, ob die Umsetzung wirklich gelungen ist, ob sich ein Thema überhaupt dafür eignet, ob auch das Drumherum stimmt. Das sind Nuancen! Denn wo man früher mit HTML eine Website gebaut hat und das eben entweder konnte oder nicht, ist all dies heute nicht mehr notwendig: Professionelle Baukästen helfen weiter, kaum etwas sieht so richtig schlecht aus – und wir können kaum etwas wegen absoluter technischer Unfähigkeit von vorneherein rausschmeißen. (Ich sagte kaum! Gerade gestern habe ich noch etwas gesichtet – unglaublich. Und das von einem großen Anbieter …)

Ist das noch webspezifisch?

Unter anderem diese Multimedia-Reportagen werfen aber auch unsere Kriterien durcheinander. Wir passen sie immer wieder an, aber natürlich bleiben die Grundzüge erhalten. So wie Interaktivität, Nutzerbeteiligung, Kommunikation – das was das Internet auch ausmacht. Früher hätte die Nominierungskommission bei den Multimedia-Reportagen knallhart gesagt: „Das kann man doch auch auf CD-ROM ansehen.“ Heute vertreibt niemand mehr etwas auf CD-ROM, alles steht im Internet und wohl niemand würde auf die Idee kommen, Multimedia-Reportagen die Webspezifik abzusprechen. Trotzdem sind es in sich abgeschlossene Gebilde, auf die ganz viele unserer Kriterien nicht zutreffen. Auch in anderen Angeboten hat sich der Dialog mit den Nutzern verlagert: Auf die Sozialen Medien. Die Kommentarfunktion wird nur bei bestimmten Angeboten genutzt, bei vielen findet die Kommunikation auf Facebook statt. Unsere Nominierungskommission bezieht das mit ein, aber natürlich ist es losgelöst vom eigentlichen Angebot.

Mehr Schein als Sein?

Die einfache Technik hat aber noch einen anderen Nachteil: Früher hat man von vorneherein gesehen, ob es jemand ernst meinte mit seinem Angebot oder nicht. Denn eine Website aufzusetzen ist erst im Laufe der Zeit immer einfacher geworden. Heute kann jeder etwas bauen, was extrem professionell aussieht – und recht schnell wieder aufgeben. Wenn früher etwas supergut aussah, konnten wir davon ausgehen, dass derjenige auch eine Weile durchhält, denn er hatte schon viel Zeit investiert. Andererseits kann sich das professionelle Aussehen auch zum Nachteil für den Betreiber entwickeln: Wenn ein Angebot so aussieht, als stünde ein großer Betreiber dahinter und nicht ganz klar ist, dass es sich nur um eine Einzelperson oder einen winzigen Verein handelt, werden kleine technische Schwächen viel härter kritisiert. Denn die Nominierungskommission achtet schon darauf, ob es ein großer oder ein kleiner Anbieter ist. Wenn man das aber nicht mehr auf den ersten Blick sieht, weil die Templates ähnlich perfekt sind, und es auch nicht in der „Über uns“-Seite steht, muss die Nominierungskommission lange recherchieren, ob eine technische Schwäche verzeihlich ist, oder nicht.

Überrascht uns!

Aber was wollen wir denn eigentlich, wenn uns die coolen Themen und die neueste Technik schon nicht mehr beeindrucken? Wir schauen auf die Themen und die inhaltliche Umsetzung, ganz klar, das muss dann halt auch perfekter werden. Oder es muss ein Thema sein, dass eben nicht jeder beackert. Dieser kleine Kick, der das eine Angebot herausragen lässt. Freuen würden wir uns auch über Angebote, die andere neue Technik verwenden. Wo sind die kreativen Snapchat-Nutzer, die ihre Snaps dann auch archivieren, so dass wir sie sehen können? Gibt es die publizistische Nutzung von Instagram? Welcher Twitterer macht etwas ganz Besonderes? Aber das sind ja alles schon wieder Fremdplattformen. Wir lieben auch nach wie vor Blogs, wo sich jemand „seinem“ Thema verschreibt, ruhig auch fernab jedes Mainstreams. Oder die eigene Website. So ganz oldschool. Ach, wir wissen es doch auch nicht. Überrascht uns!

Bis 1. März 2018 können noch Vorschläge eingereicht werden.

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