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Wer ist Gewinner und wer Verlierer des Wiederaufbaus in Haiti?

Screenshot „Auferstanden als Ruine“

Das verheerende Erdbeben in Haiti im Jahr 2010 hinterließ eine Spur der Verwüstung: 1,5 Millionen Obdachlose und die Zerstörung des gesamten Landes. Fünf Jahre nach der Katastrophe dokumentiert die Webreportage „Auferstanden als Ruine“ den aktuellen Stand des Wiederaufbaus. Im Interview erläutert Autorin Sandra Weiss die Idee zur langfristigen Dokumentation der Entwicklungen im Land und die Schwierigkeit, finanzielle Hilfsmittel richtig einzusetzen.

Wie kam es zu dem Projekt „Auferstanden als Ruine„?

Florian Kopp lebt in Brasilien, ich in Mexiko. Wir kennen uns seit einigen Jahren, und wir funktionieren gut als Team. Beide waren wir nach dem Beben in Haiti, weil es ja in unser Berichtsgebiet fällt. Das Ausmaß der Zerstörung hat uns beeindruckt, aber auch die massive Hilfe. Das war wie eine Lawine! Wir haben beschlossen, dass wir an dem Thema dranbleiben wollen, und zwar dann, wenn alle anderen längst zum nächsten Katastrophenschauplatz weitergezogen sind. Ich finde, der Blick für langfristige Entwicklungen und tiefere Analysen kommt in der Berichterstattung häufig zu kurz. Florian hatte gerade einen Multimediakurs hinter sich, und auch ich fand das Format spannend und wollte es gerne einmal ausprobieren. Ich komme zwar vom Print, arbeite aber auch für Radio und Fernsehen und finde, jedes Format hat seine Stärken und Schwächen. An Multimedia fasziniert mich die Interaktivität und dass man den Leser auf unterschiedlichen Ebenen abholen kann, also eher emotional mit unserem Film über Samanthas Leben im Zeltlager und eher rational im Text und mit den Grafiken. So ist die Idee langsam gereift und das Konzept entstanden. Ich habe monatelang Bücher und Studien aus Frankreich und den USA gelesen, denn in den beiden Ländern wird das meiste zu Haiti publiziert. Das schwierigste Kapitel war die Finanzierung. Nachdem die klassischen Medienhäuser abwinkten, haben wir uns für diverse Stipendien beworben und auch eines von der VG-Bild-Kunst bekommen. Ein kleinerer Teil kam über Crowdfunding. Und das letzte Loch konnten wir dann durch einige Text- und Fotoveröffentlichungen schließen. Alles in allem saßen wir gut drei Monate daran und haben zwar keinen Gewinn gemacht, aber eine Menge gelernt.

Wie ist Ihre Ansicht zur Berichterstattung aus Krisengebieten? Gerät Ihrer Meinung nach ein Ereignis und damit verbunden die Zusicherung von Hilfen und Spenden zu schnell in Vergessenheit?

Der Katastrophen-Journalismus folgt der gleichen, kurzfristigen Logik wie die Katastrophenhilfe. Und letztlich ist beides ein Zeichen unserer modernen, hektischen und unsicheren Zeit. Wer kann und will noch langfristig planen? Wen interessiert noch Relevanz, wenn alle nur um Reichweite buhlen? Das Problem ist, dass man so aus dem Blick verliert, wohin es eigentlich gehen soll. Den Luxus des Innehaltens müssen wir uns als Gesellschaft und als Journalisten aber gönnen, denn sonst sind wir nur noch Getriebene in einem aufgewühlten Meer einer letztlich sinnlosen Betriebsamkeit. „Auferstanden als Ruine“ ist deshalb auch ein Symbol oder vielleicht besser ein Symptom unserer Zeit.

Sandra Weiss vom Projekt "Auferstanden als Ruine"

Sandra Weiss vom Projekt „Auferstanden als Ruine“; Foto: Privat

Bringen Sie uns bitte kurz Ihre Arbeitsweise etwas näher.

Eines ist der Korrespondentenalltag, und etwas ganz anderes war „Auferstanden als Ruine“. Dafür waren wir beide knapp drei Wochen lang vor Ort. Dabei hat uns unsere vorherige Haiti-Erfahrung natürlich sehr geholfen, weil wir schon viele Kontakte hatten, auch zu einigen Protagonisten. Aber trotzdem mussten wir eine ganze Menge improvisieren, denn Haiti ist ein logistischer Albtraum. Wir waren zum Beispiel immer mit Motorradtaxis unterwegs, weil man sonst kaum durch den chaotischen Verkehr kommt. Um unsere Film-Protagonistin zu finden, sind wir zwei Tage lang durch das Lager Icare gestreift, erst mit dem Pfarrer, dann alleine. Das war zäh, aber letztlich gut, weil uns so alle dort kannten und wir uns dann einigermaßen sicher fühlten und frei bewegen konnten. Wir waren ziemlich unter Zeitdruck, weil unser Budget knapp bemessen war, und da lagen manchmal die Nerven ganz schön blank, wenn etwas nicht klappte, zum Beispiel der Besuch im neuen Slum Canaan. Das schafften wir erst auf den letzten Drücker. Und dann brauchte Florian unbedingt noch Aufnahmen vom Lager im Regen für die Filmstrecke. Aber auch da hatten wir Glück, und Petrus spielte mit. Noch viel aufwändiger war die Postproduktion. Da lag die Hauptlast bei unserem kreativen Programmierer Tobias Hindemitt, und den Schnitt machte Uwe Martin, beide leben in Deutschland. Wir haben also über die Zeitzonen hinweg manchmal stundenlang geskypt und diskutiert, welches Foto oder welchen Hintergrund man nehmen kann, welcher Textabschnitt wie verändert wird, wo man einen Schnitt setzt, wie man gliedert. Ein Multimedia-Produkt steht und fällt mit der Postproduktion, und es ist einfach wichtig, ein gutes, kreatives Team zu haben, in dem alle ihre Erfahrungen, Vorschläge und Meinungen einbringen können. Davon hat das Endprodukt sehr profitiert.

12. Januar 2010 – Das Erdbeben

Screenshot-Ausschnitt „Auferstanden als Ruine“: 12. Januar 2010 – Das Erdbeben

Was bedeutet die Nominierung für den Grimme Online Award für Sie?

Wir freuen uns über diese Anerkennung, vor allem, weil wir keinen großen Verlag im Rücken hatten. Das Projekt war gedacht als Grundstein für unsere Multimedia-Agentur weko-media, und wir hoffen jetzt auf Aufträge.

Wie könnte sich ein Gewinn des Grimme Online Award positiv auf das Projekt „Auferstanden als Ruine“ auswirken? Was erhoffen Sie sich auch in Hinblick auf potenzielle neue Projekte?

Wir haben schon neue Ideen und wünschen uns finanzstarke Auftraggeber mit Weltoffenheit, Mut und Experimentierfreude! Ich bin überzeugt, dass die Zukunft multimedial, interaktiv und „on demand“ ist, da muss ich mir nur meine Kinder ansehen. Deren Medienkonsum läuft fast nur per Smartphone, Tablet und Netflix. Sie sind visueller, sprunghafter und wollen selbst aktiv werden. Für uns Journalisten, die wir in einer eher linearen Erzähllogik ausgebildet wurden, ist das eine große Herausforderung. Aber es ist spannend, und es geht auch mit komplexen Themen, das hat „Auferstanden als Ruine“ bewiesen.

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