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„Ins Herz geschlossen“: Der Stadtmusikant aus Münster

Screenshot „Onkel Willi“

Lebenskünstler, Philosoph und Querkopf: Das Portrait von „Onkel Willi“ alias Klaus Reinhardt ist so facettenreich wie sein Leben selbst. Als Aussteiger und Straßenmusiker im Ruhestand gilt er als inoffizieller Ehrenbürger Münsters. Die für den Grimme Online Award in der Kategorie Kultur und Unterhaltung nominierte Pageflow-Reportage “Onkel Willi” ist ein multimedialer Nachlass und gewährt tiefe Einblicke in das Leben Klaus Reinhardts, der über Leben und Tod philosophiert. Im Interview spricht Verena Egbringhoff, stellv. Leiterin der Programmgruppe Aktuelles Fernsehen des WDR, über die dokumentarische Begleitung des Stadtmusikantens auf der letzten Etappe seines Lebens.

Wie kam es zu dem Projekt „Onkel Willi“? Was ist seine Intention?

Unser Reporter Christian Dassel hat „Onkel Willi“ bereits vor vielen Jahren für die Aktuelle Stunde im WDR Fernsehen portraitiert. Gleichzeitig war Christian schon länger auf der Suche nach einem Stoff, der sich multimedial erzählen lässt. Anfang dieses Jahres zeigte mir Christian Videoaufnahmen aus dem vergangenen Jahr anlässlich Onkel Willis 70. Geburtstag Material, das noch nicht veröffentlicht war. Onkel Willi erzählt sehr offen, was ihm wichtig ist, gewährt dem Reporter Einblicke in sein besonderes Leben: einerseits als Straßenmusiker in Münsters guter Stube am Prinzipalmarkt und andererseits als Bewohner einer Laube am Rande der Stadt und Gesellschaft. Onkel Willi philosophiert über Leben und Tod. Und er trifft eine Verabredung mit dem Reporter: Onkel Willi möchte der Welt etwas hinterlassen, und Christian Dassel schlägt ihm einen Film als „Nachlass“ vor. Mich haben die wenigen Szenen sehr berührt, typisch Dassel eben. Aber klar war auch: Um Onkel Willi und seinem Lebenskonzept gerecht zu wenden, reicht ein Fünfminüter in der Aktuellen Stunde allein nicht aus. Und da war unser Stoff für eine Multimedia-Reportage gefunden. Was mich besonders gereizt hat: Das sehr analoge Leben des Onkel Willi digital zu erzählen und dabei die multimedialen Möglichkeiten voll auszuschöpfen, die das im WDR entwickelte Tool Pageflow bietet.

Screenshot "Onkel Willi"

Screenshot „Onkel Willi“

Ist Onkel Willi so etwas wie das Stadtmaskottchen Münsters? Wie lässt sich das Verhältnis der Stadtbewohner zu ihm beschreiben?

Onkel Willi ist sicherlich nicht das „Maskottchen“ von Münster. Er ist eher ein inoffizieller Ehrenbürger. Die Münsteraner respektieren ihn. Sie ziehen den Hut vor seiner Lebensleistung. Jahrzehntelang hat er den Soundtrack für den Münsteraner Alltag geschaffen. Onkel Willi verkörpert vieles, was in Münster wichtig ist: Freiheit, Toleranz und Lebenslust, aber auch Beständigkeit und Fleiß.
Die Münsteraner haben ihn deshalb ins Herz geschlossen. Er ist einer von ihnen, obwohl keiner so ist wie er. Münster ist stolz auf Onkel Willi – zu Recht.

Das Team von "Onkel Willi"des WDR; Foto: Grimme-Institut / Jens Becker

Das Team von „Onkel Willi“des WDR; Foto: Grimme-Institut / Jens Becker

Bringen Sie uns bitte kurz die Arbeitsweise im Zuge der Dokumentation etwas näher.

Christian Dassel hat als Reporter viel Erfahrung im Umgang mit Menschen vor der und für die Kamera. Aufgrund unserer jahrelangen Zusammenarbeit war und ist da also großes Vertrauen in diese zugegeben etwas heikle Konstellation: Ein älterer Mann philosophiert über Leben und Tod und verabredet mit einem Reporter, dass dieser ihn bis zum Ende mit der Kamera begleiten darf. Eine Verabredung, mit der wir als Redaktion verantwortungsvoll umgehen müssen. Bei Christian Dassel wusste ich diese Aufgabe in den besten Händen. Inhaltlich waren wir also auf interessantem, aber doch bekanntem Terrain. Anders beim Handwerk: Das multimediale Erzählen im Bereich der Doku war neu. Als Redaktion mussten Andrea Steinsträter und ich zunächst mal Altbewährtes über Bord werfen und neue Fragen stellen: Wie sehr verdichten wir das Material? Wie episch darf man überhaupt sein, wenn wir an den Nutzer unterwegs denken? Welche Rolle nimmt der Reporter ein? Welcher Inhalt kommt wie am besten zur Geltung? Wo überzeugt Video? Wann lassen wir Text auf Foto wirken? Wie bringen wir Musik ins Spiel? Ganz wichtig dabei auch: Wie erlebe ich Onkel Willis Geschichte auf dem Smartphone? Und in welchen Abständen aktualisieren wir die Fortsetzungsdoku? Es war ein ganz bewusster Prozess, sich vom gewohnten Geschichtenerzähler im Fernsehen zu lösen und für das Storytelling im Netz diese Fragen zu stellen, transmedial zu denken. Christian hat ein bisschen was ausprobiert und dann war ziemlich schnell der Schalter umgelegt: Der Kompass für seine Art Geschichten zu erzählen war auch für das Netz gefunden.

Was bedeutet die Nominierung für den Grimme Online Award für Sie?

Die Redaktion, in der täglich die Aktuelle Stunde für das WDR Fernsehen produziert wird, hat sich seit 2011 multimedial aufgestellt. Dass wir nun mit einer Web-Doku auf uns aufmerksam machen können, freut uns natürlich sehr und macht uns auch ein bisschen stolz. Schon die Nominierung ist ja so etwas wie ein Ritterschlag für alle Onliner. Das ist eine tolle Bestätigung für unsere Arbeit.

Wie könnte sich ein Gewinn des Grimme Online Award positiv für das Projekt „Onkel Willi“ auswirken? Was erhoffen Sie sich auch in Hinblick auf potenzielle neue Projekte?

Ich kann nicht über das Projekt sprechen, ohne vorher mal Onkel Willi als Person zu erwähnen. Ich weiß von Christian Dassel, dass Onkel Willi selbst schon Freude daran hat, dass es so viel Aufmerksamkeit für ihn gibt – auch wenn er das eben nur erzählt bekommt, weil er selbst keinen Zugang zum Digitalen hat. Sein Plan, der Welt etwas zu hinterlassen, ist ja schon Wirklichkeit geworden. Also auch ohne Preis ist das Projekt für Onkel Willi selbst ein Gewinn. Das wage ich mal zu behaupten, wenn man sich in den aktuellsten Kapiteln der Doku anschaut, wie der Ex-Straßenmusiker im Profi-Studio seinen Song einsingt. Aus Redaktionsperspektive erhoffe ich mir Rückenwind für diese Art von Storytelling und Aufwind für Reporter, in denen bereits die Idee schlummert, ihr Thema von Beginn an multimedial zu denken und voranzutreiben. Das braucht viel Eigeninitiative und schon die Nominierung zeigt ja, dass sich der Einsatz gelohnt hat.

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