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Der Himmel der Nachrichten-Welt hängt voller Floskelwolken

Screenshot "Floskelwolke"
Screenshot "Floskelwolke"
Screenshot „Floskelwolke“

Aktuell muss es sein, immer schnell berichten: Tiefe Recherche und sorgfältige Formulierung ist selten geworden im Nachrichtengeschäft. Ein perfekter Nährboden für Floskeln und Phrasen. Diese sammelt die „Floskelwolke„, nominiert in der Kategorie Wissen und Bildung. Im Interview erläutert Udo Stiehl, der zusammen mit Sebastian Pertsch das Projekt gründete, die gegenwärtige Situation in der Nachrichtenwelt und seine Arbeit der täglichen Analyse von Websites nach Phrasen und Floskeln.

Wie kam es zu dem Projekt „Floskelwolke“?

Die Idee zur „Floskelwolke“ ist kurioserweise entstanden, als ich einen Artikel über Wortwolken las, die angeblich jetzt völlig out seien. Es entstand die Frage, ob die vielen Politikerphrasen und Schönsprechkonstruktionen wirklich so oft in Nachrichten übernommen werden oder ob mich mein Eindruck aus dem Redaktionsalltag täuscht. Mir fiel dazu allerdings nur ein, alle Begriffe mal zu googeln – und weil ich wusste, dass Sebastian Pertsch sich mit solchen Analysen gut auskennt, habe ich ihm via Twitter die ziemlich naive Frage gestellt, ob man denn Excel-Tabellen mit Begriffen googeln könne. Der hat mich aber zum Glück nicht ausgelacht, sondern tüftelte etwas herum und schickte mir anderthalb Tage später eine Lösung. Und dann haben wir angefangen, das in eine Form zu gießen, die Begriffe zusammenzutragen, eine Datenbank zu füllen, und am 11. August 2014 um 7 Uhr erschien dann zum ersten Mal eine aktuelle Floskelwolke via Twitter, Facebook und unserer Internetseite, die sich seitdem alle 12 Stunden aktualisiert.

Ist die häufige Benutzung von Floskeln in der Nachrichtenwelt nicht auch ein Produkt des Strebens nach Aktualität, da kaum noch genügend Zeit bleibt, um eine ausreichende Recherche zu betreiben und auf präzise und vor allem korrekte Formulierungen zu achten?

Ihre Frage zitiert mich fast wörtlich, genau das kritisiere ich schon seit langem. Denn genau dieses sinnlose Rennen gegen die Uhr raubt den Redaktionen die Zeit für bedächtiges Handeln und eben auch präzise Formulierungen. Aber unser Publikum sitzt doch nicht zu Hause und schaut gespannt auf verschiedene Geräte, um hinterher zu jubeln: Ha, die Eilmeldung meiner Regionalzeitung war sechs Minuten schneller als die vom Radio. Die Leute erwarten verlässliche Informationen und ich glaube nicht, dass die dabei auf die Uhr schauen, sondern auf die Qualität. Also warum bitte rennen wir gegen die Zeit an in den Redaktionen? Lieber ein paar Minuten später und ordentlich recherchiert und getextet als ruckzuck rausgeschickt, aber in der Eile beim Sterbedatum noch XXX in der Eilmeldung haben, weil mal wieder zu schnell auf Abschicken gedrückt wurde. Ist ja alles schon vorgekommen.

Sie sagen: „Wir möchten nachdenklich machen.“ Stehen Sie der Art der gegenwärtigen Informationsverbreitung durch die Medien folglich skeptisch gegenüber?

Nein, es ist zwar im Moment Vieles im Umbruch in der Nachrichtenwelt, es wird experimentiert mit anderen Verbreitungswegen (die dann zum Teil einschränkende technische Hürden haben), aber das ist ja kein Anlass zur Skepsis – ganz im Gegenteil. Da entwickeln sich mit der Zeit neue Wege und da wird sich auf Dauer auch eher Qualität durchsetzen. Das „nachdenklich machen“ bezieht sich darauf, dass die Floskelwolke bewusst darauf verzichtet, die Fundstellen zu veröffentlichen und damit Medien an den Pranger zu stellen. Wir werten nur die Treffenzahlen aus und zeigen grafisch die Ergebnisse für die kritisierten Floskeln und Phrasen. Und sich die ab und zu mal anzusehen und bei dem einen oder anderen Begriff ins Nachdenken zu kommen, das ist das Ziel – die Menschen zu sensibilisieren für Sprache und eventuelle Schönfärberei, mehr nicht. Ich sag’s eigentlich fast in jedem Interview und wiederhole es auch jetzt gerne: Wir sind keine Sprachpolizei.

Das Hauptaugenmerk der „Floskelwolke“ liegt auf der inhaltlichen Korrektheit. Impliziert dies, dass Ihrer Meinung nach eine Richtigkeit oftmals nicht gegeben ist? Und ist der Verlust dieser Korrektheit durch mangelnde sprachliche Mittel begründet?

Also einen Mangel an Mitteln kann man der deutschen Sprache nun wirklich nicht nachsagen. Kaum eine Sprache hat so ein Repertoire an Feinheiten und detaillierten Abstufungen. Die muss man dann aber auch benutzen. Nehmen Sie als Beispiel das tägliche Geschäft in der Politik. Da werden Standpunkte ausgetauscht, da wird diskutiert, debattiert, argumentiert, auch mal provoziert – in den Meldungen ist aber meist vom Koalitionsstreit oder Krach die Rede, als wäre jede Form der politischen Auseinandersetzung gleich ein handfester Streit oder eine veritable Krise.

Können Sie einen Verfall der Sprache ausmachen?

Nein, ich glaube, das ist auch das falsche Bild. Da verfällt nichts, sondern da entwickelt sich etwas mit dem Lauf der Zeit, wie es die Sprache schon immer getan hat. Ich bin kein Sprachwissenschaftler, ich kann das nur aus meiner Erfahrung in verschiedenen Nachrichtenredaktionen bewerten. Und da kann ich Ihnen sagen, dass es auch schon vor 20 Jahren Diskussionen über bestimmte Formulierungen gab und da ist aus meiner Sicht auch mit der Zeit nichts verfallen, sondern da haben sich neue Begriffe gebildet, alte sind verschwunden, weil sie einfach auch nicht mehr gebraucht werden, und trotzdem kann jeder präzise formulieren – damals wie heute.

Die Männer hinter der Floskelwolker

Sebastian Pertsch und Udo Stiehl vom Projekt „Floskelwolke“; Foto: Grimme-Institut / Jens Becker

Bringen Sie uns bitte kurz Ihre Arbeitsweise etwas näher. Wie sieht die tägliche Arbeit mit Ihrem Kollegen Sebastian Pertsch aus?

Wir wohnen zwar nicht in einer Stadt, Sebastian Pertsch in Berlin, ich in Köln, aber wir telefonieren alle paar Tage. Das Meiste können wir auch online erledigen. Wir haben dazu ein Organisationstool, da sind alle Aufgaben und Pläne drin, alle Termine und auch Ideen, an denen wir stricken, um die Floskelwolke weiterzuentwickeln. Die meiste Arbeit täglich entfällt auf die Kommunikation mit unseren Lesern. Vor allem auf Twitter wird beinahe täglich lebhaft diskutiert, die Leute stellen Fragen, möchten etwas erklärt bekommen, weisen auf sprachlich unpräzise, teils auch sehr amüsante Nachrichtenmeldungen hin oder machen sogar Vorschläge für weitere Begriffe, die sie gerne in der Floskelwolke sehen möchten. Es ist also viel Dialog dabei, was uns sehr freut, denn unser Ziel ist es ja, Debatten anzustoßen. Und die Vorschläge schreiben wir auf. Einmal im Monat bin ich in Berlin und dann besprechen wir Aktualisierungen und Änderungen in der Datenbank. Übrigens können Hinweise unserer Leser auch zu Korrekturen führen. Den Super-GAU haben wir wieder rausgenommen, nachdem uns mehrere Fachleute erläutert haben, dass es den wirklich gibt und wir das auch nachprüfen konnten. Zum Glück war das bisher der einzige Fall, wo wir daneben lagen. Das dokumentieren wir dann, wie alle anderen Aktualisierungen auch, in unseren Werkstattberichten.

Die tägliche Analyse und Auswertung sind sehr komplex. Zusätzlich erfolgt eine Kategorisierung mit Hilfe eines Farbsystems. Wie bewältigen Sie diese enorme Aufgabe?

Dahinter steckt eine Datenbank, die zu jedem Begriff eine genaue Suchroutine vorhält, verschiedene Beschreibungen in kurzer und langer Form dazu, um entsprechend die unterschiedlichen Ausspielungen als Tweet, Facebook-Post und Wortwolke zu generieren, und eine automatisierte Suchroutine, die um 7 Uhr und um 19 Uhr knapp 2.000 deutschsprachige Medienseiten in Deutschland, Österreich und der Schweiz analysiert. Alle Daten werden gespeichert, für die Wortwolke und das Ranking in Relation gesetzt und je nach Ausspielweg aufbereitet. Und weil wir ein Open Data-Projekt sind, kann jeder diese Ergebnisdaten bei uns abfragen und weiterverarbeiten. Es gibt bereits mehrere Programmierer, die mit unserer Schnittstelle und unseren Daten experimentieren und eigene Projekte entwickeln.

Die Top-Floskeln der "Floskelwolke"

Screenshot-Ausschnitt „Floskelwolke Top-Floskeln „

Was bedeutet die Nominierung für den Grimme Online Award für Sie?

Da spreche ich sicher auch im Sinne von Sebastian Pertsch, wenn ich sage: Man träumt ja viel rum, wenn man so eine Geschichte zusammen entwickelt und auch so große Resonanz bekommt. Aber dass da auf einmal das Telefon klingelt und ich mit der Einkaufstüte unterm Arm das Grimme-Institut am Ohr habe, das war wirklich ein Hammer. Und dann hatte Sebastian just an dem Tag auch noch das Handy kaputt und ich konnte ihn erst abends, viele Stunde später zu Hause erreichen. Der hat erst an einen schlechten Scherz geglaubt. Uns macht die Nominierung sehr stolz, vor allem, weil wir ja im Vergleich zu vielen anderen Projekten doch eher ein kleines Licht sind mit uns beiden als Machern der Floskelwolke – und dann stehen wir da plötzlich in einer Reihe mit ARTE, dem WDR, dem SWR und einem Astronauten.

Wie könnte sich ein Gewinn des Grimme Online Award positiv für die „Floskelwolke“ auswirken? Was erhoffen Sie sich auch in Hinblick auf potentielle neue Projekte?

Also, ob wir den Preis jetzt wirklich gewinnen oder nur als Nominierte aus der ganzen Sache herausgehen, es ist in jedem Fall ein großer Schub bei der Bekanntheit der Floskelwolke, und das bedeutet, dass es sich noch mehr lohnt, weiter an dem Projekt zu feilen. Wir haben schon einige Ideen, zum Beispiel könnten wir uns vorstellen, dass vielleicht eine Universität Interesse hat, die Suchroutinen und Auswertungen auf eine wissenschaftliche Basis zu stellen oder Langzeitauswertungen zu machen, um sprachliche Entwicklungen zu untersuchen. Außerdem überlegen wir, wie die Floskelwolke möglicherweise spezifischer werden kann – also zum Beispiel eine Wolke speziell zur Sportsprache oder eine gesonderte Politikwolke. Uns kam auch die Idee, nicht nur die Webseiten der Medien zu analysieren, sondern auch die Posts von Medien auf ihren Facebook-Seiten und Twitter-Accounts. Das wäre technisch machbar, wird vermutlich aber frühestens im Herbst in die Pilotphase gehen. Da gibt es bestimmt noch eine ganze Reihe von weiteren interessanten Möglichkeiten. Und so eine Nominierung ist da schon eine ganz schön kräftige Motivation für uns!

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