Auf allen Kanälen unterwegs: Wie Redaktionen den Umgang mit sozialen Medien lernen
Ein Gastbeitrag von Christoph Neuberger, Susanne Langenohl und Christian Nuernbergk
Die von den Autoren im Auftrag der Landesanstalt für Medien NRW (LfM) realisierte Studie „Social Media und Journalismus“ hat Potenziale, faktische Bedeutung und neue Herausforderungen verschiedener Social Media Kanäle im Alltag von Online-Redaktionen untersucht. Dabei werden auch neue Merkmale und Ansprüche an die Qualität publizistischer Online-Inhalte sichtbar. Für das Blog quergewebt wurden die Ergebnisse der Studie nun in einem eigenen Beitrag zusammengefasst.
Fast alle Redaktionen in Deutschland nutzen Twitter und Facebook, rund drei Viertel setzen YouTube und Blogs ein. In den sozialen Medien erreichen sie die junge Zielgruppe, allerdings gelten dort auch besondere Umgangsregeln und Beschränkungen. So sind auf Twitter Geschwindigkeit und Kürze gefragt, während in Blogs die Texte länger sind und Debatten eher in die Tiefe gehen. Die Redaktionen müssen lernen, wo die Stärken und Schwächen der verschiedenen sozialen Medien liegen, um sie sinnvoll einzusetzen. Die sozialen Medien sind multifunktional, wodurch sich der Lernprozess weiter verkompliziert: Sie sind nicht nur Publikationskanäle, sondern dienen auch der Recherche und dem Austausch mit dem Publikum. Facebook und Twitter, das zeigt unsere Studie, sind eine Art Schweizer Taschenmesser: Sie werden für viele unterschiedliche Zwecke gebraucht, während Blogs und YouTube für spezielle Anwendungen eingesetzt werden.
Besserer Journalismus durch Social Media?
Tragen soziale Medien zur Verbesserung des Journalismus bei? Rund zwei Drittel der Redaktionsleiter sind dieser Auffassung: Sie meinen, dass die Gesamtqualität des professionellen Journalismus im Internet durch soziale Medien gestiegen ist. Das ist das Ergebnis einer Befragung von 105 Internetredaktionsleitern, die im Mai und Juni 2014 ein Forscherteam der Ludwig-Maximilians-Universität München durchgeführt hat. An der Studie konnten professionell-journalistische Redaktionen mit überregionaler Berichterstattung teilnehmen. Im Fall der Tageszeitungen wurden auch Regional- und Lokalblätter eingeladen. 70 Prozent der angeschriebenen Redaktionen gaben Auskunft.
Gestiegen ist die Qualität vor allem im Hinblick auf die Aktualität, die Meinungs- und Themenvielfalt, die Intensität der Diskussionen und den leichten Zugang der Nutzer zu den Autoren. Hier spiegeln sich Beschleunigung und Partizipation als wesentliche Eigenschaften des Internets wider. Verschlechtert haben sich nach Einschätzung der Befragten die Exklusivität der Informationen, die Glaubwürdigkeit und die Tiefe der Themenbehandlung.
Social Media-Kompetenzen noch nicht ausreichend
Trotz dieser positiven Gesamtbilanz: Die Journalisten sind noch nicht ausreichend auf die Arbeit mit sozialen Medien vorbereitet. Nur 10 Prozent der Redaktionsleiter sehen keinen Verbesserungsbedarf bei der Kompetenz ihrer Mitarbeiter. Doch es lassen sich Fortschritte erkennen: 2010 hielten sie noch 60 Prozent für „stark verbesserungswürdig“. Dieser Anteil fällt 2014 mit 28 Prozent deutlich geringer aus. Wo liegen die Defizite? Häufig treffen die Mitarbeiter nicht den richtigen Ton, oder es fehlt das Gespür für Themen, die in den sozialen Medien funktionieren. Oft genannte Mängel sind weiterhin die Interaktion mit dem Publikum, die Recherche und die technische Kompetenz.
Interaktion mit Nutzern verbesserungswürdig
Besonders die Qualität der Nutzerbeiträge ist in den letzten Monaten kritisiert worden. Was unternehmen die Redaktionen, um sie zu verbessern? Die häufigste Maßnahme ist der Ausschluss von Nutzern, die gegen Regeln verstoßen haben (83 Prozent). Die Nutzer über Richtlinien für das Kommentieren zu informieren, geschieht nahezu ebenso oft (79 Prozent). Eine Registrierungspflicht für Nutzer, die schreiben wollen, ist auch weit verbreitet (58 Prozent). In nur 43 Prozent der Fälle werden dagegen Diskussionen moderiert. Die Beschränkung der Kommentarfunktion auf ausgewählte Themen – wie bei Süddeutsche.de (hier die Begründung von Stefan Plöchinger) – ist noch seltener (28 Prozent).
Welche Regeln gelten für die Journalisten bei der Interaktion mit den Nutzern? Ein respektvoller Umgang ist eine Selbstverständlichkeit (100 Prozent). Eine deutliche Mehrheit der Befragten gibt an, dass Nutzeranfragen zügig beantwortet werden sollten (91 Prozent). Dass auf Nutzeranfragen immer geantwortet werden sollte, ist ebenfalls eine gängige Regel (89 Prozent). Die Befragten wurden gebeten, weitere Regeln für die Interaktion mit den Nutzern anzugeben. Fünfmal wurde der Moderationsstil angesprochen. So soll man sich nicht provozieren lassen und freundlich bleiben: „Don’t feed the trolls – man sollte Krawallmacher ignorieren und ihnen keine Angriffsfläche bieten“, „Immer die Ruhe bewahren und freundlich bleiben“. Zweimal wurde angemerkt, dass man die Nutzer siezen, also höfliche Distanz wahren sollte.
Welche Redaktionen setzen soziale Medien vorbildlich bei der Publikumsbeteiligung ein? Die Befragten konnten bis zu drei Namen angeben. Unter den 101 Nennungen sind Süddeutsche.de und Zeit Online mit jeweils 13 Nennungen am häufigsten vertreten. Auf dem dritten Rang folgt Spiegel Online mit zehn Nennungen. Dahinter sind der britische Guardian und Rhein-Zeitung.de mit jeweils vier Nennungen platziert.
Nutzerbeteiligung als Qualitätsherausforderung
Die Redaktionen lernen gegenwärtig also den Umgang mit sozialen Medien. Zugewinne sehen sie vor allem bei der Publikumsinteraktion: Die Vielfalt der Meinungen nimmt zu, die Diskussionen werden intensiver geführt. Gleichwohl schafft sie auch Probleme, die durch neue Regeln gelöst werden sollen: Die Qualität der Nutzerbeiträge soll durch Richtlinien, Registrierungspflicht und Ausschluss gehoben werden. Moderiert wird noch vergleichsweise selten. Mit den Usern sollen die Journalisten respektvoll umgehen, sie sollen ihre Anfragen unverzüglich und stets beantworten. Doch das reicht noch nicht aus – auch das journalistische Rollenverständnis müsste sich ändern: 84 Prozent der befragten Redaktionsleiter sagen, dass es professionellen Journalisten noch schwerfällt, Nutzer als Mitschreibende zu akzeptieren.
Der komplette Ergebnisbericht ist auf der Website der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen als PDF abrufbar. Bei der LfM kann die Studie auch kostenlos als Buch bestellt werden.
Neuberger, Christoph/Langenohl, Susanne/Nuernbergk, Christian (2014): Social Media und Journalismus. Düsseldorf: LfM (= LfM-Dokumentation, Band 50).
Prof. Dr. Christoph Neuberger, Lehrstuhl für Kommunikationswissenschaft mit Schwerpunkt „Medienwandel“, Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung
Ludwig-Maximilians-Universität München
Dr. Susanne Langenohl, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsprojekt „Social Media und Journalismus“, Lehrstuhl für Kommunikationswissenschaft mit Schwerpunkt „Medienwandel“, Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung, Ludwig-Maximilians-Universität München
Dr. Christian Nuernbergk, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Kommunikationswissenschaft mit Schwerpunkt „Medienwandel“, Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung
Ludwig-Maximilians-Universität München
zu viel social medien ist auch nicht gut. haben wir so viel zeit alles zu steuern?