Bekanntgabe der Nominierten

Totale

Gut gefüllt präsentiert sich der Saal, die Interessierten stehen bis nach draußen. Foto: Grimme-Institut / Arkadiusz Goniwiecha

Lars Gräßer vom Grimme-Institut war dabei:

Dicht drängen sich die Besucher im sonnengelben „Yellow-Room“ der Kölner Trinitatiskirche. Dass die Leute noch vor der Tür versuchen, einen Blick auf die Nominierten zu erhaschen, hat die Bekanntgabe der Nominierungen zum Grimme Online Award so auch noch nicht erlebt.

Wie in jedem Jahr hat das Grimme-Institut die Nominierten des Grimme Online Award zu einer Diskussionsveranstaltung geladen, um „die Menschen hinter den herausragenden Webangeboten sichtbar zu machen“, so Moderatorin Brigitte Baetz, selbst Medienjournalistin und Mitglied der Nominierungskommission. 23 Nominierungen werden am 21. Mai 2014 im Rahmen der Interactive Cologne und in Kooperation mit dem Medienforum NRW präsentiert. Sichtlich angetan von den nominierten Angeboten zeigt sich auch Frauke Gerlach, die neue Direktorin des Grimme-Instituts. Sie lobt in ihrer Begrüßung das publizistische Innovationspotenzial und das kreative Engagement.

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Mit Mikro: Carlo Zottmann (Neues aus der Zukunft). Foto: Grimme-Institut / Arkadiusz Goniwiecha

Vorwärtsgewandt

Den Beginn macht – in der Kategorie Information – gleich ein Blick in die Zukunft. In seinem Newsletter „Neues aus der Zukunft“ berichtet der „Optimist aus Überzeugung“ und „enthusiastische Nicht-Wissenschaftler“ Carlo Zottmann alle zwei Wochen über aktuelle Meldungen aus Biotechnologie, Genetik oder Robotik – alles, was früher Science-Fiction war. Aber warum das „traditionelle Format“ Newsletter, wenn es inhaltlich so vorwärtsgewandt zugeht? „Social Media erschien mir wenig nachhaltig, aber jeder hat ein eMail-Postfach, und einen Newsletter kann man lesen, wann man will“, so Zottmann.

Eine kleine Premiere folgt, die Webreportage der BILD: „Die letzte Reise des Gernot Fahl“. Noch nie wurde ein Online-Angebot der auflagenstärksten Zeitung Deutschlands nominiert. Ausgehend von einer Fahrt in die Schweiz, wo Fahl Sterbehilfe in Anspruch nehmen wollte, erzählt die Web-Reportage die ergreifende Geschichte des Mannes in Texten, Videos und Fotos über das Alleinsein vor dem Tod. „Ein Einbruch ins Private? Wie viel Überzeugungsarbeit mussten Sie hierfür leisten?“ will Baetz wissen. „Gar keine. Er ist auf uns zugekommen, damit seine Geschichte öffentlich wird – nicht um sein Leid zu zeigen, sondern das Alleinsein, sein Alleinsein vor dem Tod“, so die Redakteurin Anna Steinbach. Für die Print-Journalistin ungewöhnlich: „Ich konnte so viel schreiben, wie ich wollte“, erklärte die Kürze gewohnte Redakteurin. Bei der Umsetzung für den Onlinebereich, war sie sich allerdings bewusst, keineswegs „Neuland“ zu betreten und doch Neues zu versuchen. Immer wieder stand die Frage im Raum: „Wie mache ich es ’snowfallig’“ – eine Anspielung auf die Blaupause aller Webreportagen: das Snowfall-Projekt der New York Times.

Bewegtbild im Netz

Snowfall? Schöner Gedanke! Im „Yellow-Room“ der Trinitatiskirche ist es heiß geworden. Inhaltlich kommt das Wort auf Bewegtbild im Netz. Ein reichweitenstarker Meinungsmacher ohne großen Namen im Rücken ist Florian Mundt, besser bekannt als „LeFloid“. Mit fast 1,8 Millionen Abonnenten ist er nicht nur ein veritabler YouTube-Star, er präsentiert sich als meinungsfreudiger Medienmacher, der in seiner Show „LeNews“ auch gesellschaftskritische und politische Themen aufzugreifen weiß. Der „Achorman des deutschsprachigen YouTube“, wie ihn CICERO nennt? „Ich konnte mit den klassischen Nachrichten-Formaten einfach nichts anfangen. Mir fehlte die Meinung“, umreißt er seine Motivation und rückt sogleich das Bild von der meinungslosen Generation zurecht: „Jugendliche diskutieren hier auf – für YouTube – hohem Niveau.“

Und während die Temperatur im dicht gefüllten Raum steigt, geht es mit dem Trend zum Bewegtbild weiter: Von Tilo Jung erdacht und moderiert will die Sendung „Jung & Naiv“ den eher Desinteressierten politische Themen nahebringen. Ursprünglich als reines Webvideo produziert, werden die Interviews mit Politikern, Journalisten oder Experten mittlerweile auch im Kabelnetz gesendet. Was steckt dahinter? Der angereiste Redakteur Hans Hütt: „Tilo spielt einen jungen Reporter, der einen jungen Reporter spielt. Er holt so die Politiker aus ihren gestanzten Worthülsen“. Und wie kommt er an die namhaften Politiker, die „erste Liga“ des Politikbetriebs? Das mache mal mehr, mal weniger Arbeit: „Die Reaktionen sind unterschiedlich, manche zeigen auch noch Unsicherheiten“. Legendär sei die Reaktion des damaligen Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück, der fragte: „Passe ich da eigentlich rein, in die kleine Kamera?“ Alles lacht.

Dann wird es (wieder) ernst(er): „Demenz für Anfänger“ ist kein fröhlicher Aufruf zum Vergessen, es geht um den schmerzlichen Verlust der Erinnerungsfähigkeit und den nahen Tod – eine weitere Nominierung in der Kategorie Wissen und Bildung. „Das Sterben ist immer noch ein Tabu – in Zeiten, in denen Menschen Nacktbilder von sich posten“, wundert sich die Gesamtverantwortliche Zora Debrunner. „Anfangs habe ich drei bis vier Artikel pro Woche förmlich ‚ausgespuckt‘, aber dann wurde es langsamer, die Beiträge reflektierter“, beschreibt Debrunner den oft schmerzlichen Veröffentlichungsprozess – sicher eine Art „Hilfe zur Selbsthilfe“ für sie.

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Voll besetzter Saal. Foto: Grimme-Institut / Arkadiusz Goniwiecha

Liebe machen

Die Laune kehrt zurück im ebenfalls nominierten Multimedia-Angebot „Make Love“. Das gemeinsame Portal von MDR und SWR widmet sich auf offene und spielerische Weise der Liebe. Und: Ja, es geht auch um Sex! Beklagten sich bei der bloßen Ankündigung noch die Rundfunkräte und war in den Medien zu lesen: „Heimatsender macht Pornos“, so konnte das Angebot schnell überzeugen, als die ersten Ergebnisse sichtbar wurden, erinnert sich der MDR Redakteur Christoph Rieth. Stand dabei zunächst die eher „dokumäßige“ TV-Produktion im Vordergrund, kam man schnell zur Überzeugung: „Eine Online-Version muss her“, die allerdings anders als die TV-Aufbereitung funktionieren sollte, eher themenmäßig clustert, so Rieth. Rund um die Uhr ist hier ein Basis-Angebot verfügbar, ab 22 Uhr sehe man aber „mehr“. „Make Love“ hat aber nicht nur die Nominierungskommission überzeugt: „Fortsetzung folgt“, berichtete Rieth am Schluss.

Und die kleinen, feinen Perlen, jenseits der etablierten, vielfach „großen“ Anbieter? So eine Netzperle produziert Norbert Molitor mit dem Blog „42553 Neviges“, ein Stadtteil von Velbert in der Nähe von Wuppertal, nominiert in der Kategorie Kultur und Unterhaltung. Er selbst ist der fleischgewordene Gegenentwurf zum Kapuzenpulli-tragenden Netz-Nerd: Eher Sakkotyp und deutlich Ü30. Mit ironischem Zungenschlag und ungewöhnlicher Perspektive widmet er sich zumeist den hässlichen Seiten der Kleinstadt, den Folgen der Entvölkerung, der Trostlosigkeit geschlossener Ladenzeilen und Unfähigkeit der Politik zu reagieren, stets begleitet von konsequent schwarz-weißen Fotos. „Leben Sie gern in Neviges?“, will Moderatorin Baetz wissen. Auf diese Frage kann Molitor nur antworten: „Ja, natürlich. Das Leben ist preiswert, es gibt nichts, wofür man sein Geld ausgeben kann.“ Und die konsequent schwarz-weißen Fotos, oftmals kunstvoll geschossen? „Das ist pure Faulheit, ich muss auf weniger achten“, so Molitor. „Und wir dachten, es ginge um Kunst!“ schießt es förmlich aus der Moderatorin heraus. Molitors Mundwinkel verziehen sich kaum wahrnehmbar nach oben.

Und dann feiert noch ein „altes“ Format seine Rückkehr im (auch nicht mehr ganz so) „neuen“ Online-Medium: „Mediasteak“, das ursprünglich als Abschlussarbeit entstandene Projekt von Anne Krüger und Laura Pohl, will eine Programmzeitschrift für das Netz sein, einen Überblick über die zahlreichen Mediatheken bieten, sozusagen die Filetstücke der nationalen und internationalen Fernsehlandschaft. Ihr sehnlichster Wunsch? „Die Mediatheken sollten übersichtlicher gestaltet und besser kategorisiert werden“, fordern Anne Krüger und Laura Pohl und die Sieben-Tage-Regel solle weg: „Das ist einfach viel zu kurz“.

Patio

Draußen gehen die Gespräche weiter. Foto: Grimme-Institut / Arkadiusz Goniwiecha

Raus in die Sonne

Gegen Mittag geht es dann vom aufgeheizten „Yellow-Room“ der Trinitatiskirche ins Sonnengelb der Mittagssonne, während im Kirchenschiff die Interactive Cologne eröffnet wird. Zwischenfazit: Viel Hitze, viele Überraschungen und viel Freude bei den Nominierten, neben einigen berührenden Momenten – bei insgesamt acht Nominierten in der Kategorie Information, sieben in der Kategorie Wissen und Bildung sowie acht Nominierungen in der Kategorie Kultur und Unterhaltung. Die Kategorie Spezial blieb in diesem Jahr unbesetzt, was mittlerweile – durch die Nachnominierung von netzpolitik.org – nachgeholt wurde.

Und wie geht es weiter? Aus den insgesamt 23 Nominierungen wird die Jury nun bis zu acht Preisträger ermitteln. Auch das Publikum kann über einen Preis entscheiden: Bis einschließlich 20. Juni kann jeder Internetnutzer auf der Website von TV SPIELFILM unter www.tvspielfilm.de/grimme für den Publikumspreis abstimmen und an der Verlosung eines Smartphones Nokia Lumia 1020 teilnehmen.

Die Preisverleihung findet am 27. Juni 2014 im DOCK.ONE in Köln statt. An diesem Abend wird neben dem Grimme Online Award auch der „klicksafe Preis für Sicherheit im Internet“ vergeben. Er hat das Ziel, solche Angebote und Projekte zu prämieren, die in vorbildlicher Weise einen sicheren Umgang im und mit dem Internet fördern.

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