Migrantische Lebensgefühle zum Ausdruck bringen
Provokant, ehrlich, politisch unkorrekte Wortwahl: „das migrantenstadl“ mischt Politik, Kultur und Migration, bewegt sich bewusst in einer künstlerischen Dimension und zuweilen leicht dadaistisch am Rande der Verständlichkeit. Mit dem in der Kategorie Kultur und Unterhaltung nominierten Blog will Imad Mustafa gegen Vorurteile ankämpfen und die Medienlandschaft aus migrantischer Perspektive zeigen.
Was war der Anlass für die Konzeption Ihres Angebots?
Alles fing ganz simpel an. Meine Kollegin Tunay Önder und ich haben uns beim Studium kennengelernt und in unseren Abschlussarbeiten beide mit der medialen Darstellung von Migranten und Minoritäten beschäftigt, die unserer Meinung nach häufig zu negativ, einseitig und vorurteilsbeladen ausfällt. Oftmals wird nur über Ausländerkriminalität und nicht über positive Dinge berichtet. Beide sind wir selbst sogenannte Gastarbeiterkinder. Ich bin Sohn von Palästinensern, die in den 1960er Jahren nach Stuttgart kamen. Auch Tunays türkisch-tscherkessische Familie verschlug es damals hierher. Wir finden, dass viele von den ehemaligen Gastarbeitern noch zu sehr ein Nischendasein führen und die zweite Generation mit Problemen konfrontiert ist. Trotzdem erheben wir nicht den moralischen Zeigefinger und behaupten, so und so ist die Situation von Migranten in Deutschland. Wir wollen den Menschen aus dem migrantischen Dunstkreis nur etwas mehr Gehör verschaffen und zeigen, dass wir da sind und gar nicht so anders sind, nur bunter, aber eben nicht schlechter. Da wir beide einen akademischen Hintergrund haben, verfolgen wir einen künstlerisch angehauchten Ansatz.
Was und welche Zielgruppen wollen Sie erreichen?
Das Migrantenstadl war unser erstes großes Ding im Internet, da wir keine Blogerfahrung besaßen. Unser Blog ist langsam mit der Zeit entstanden, wir haben allmählich dazugelernt und ein Gefühl dafür entwickelt, neue Inhalte gefunden. Facebook kam auch hinzu, wodurch wir noch mehr Leute erreichen. Unsere spezielle Ausdrucksweise besitzt schon eine gewisse Intention. Besser gesagt, ist sie ein bisschen Ausdruck unserer Verzweiflung und unseres eigenen momentanen Lebensgefühls als Migrantenkinder in Deutschland. Manches kann man gar nicht mehr ernst nehmen, was hierzulande z.T. erzählt wird und passiert und dem wollen wir mit unserem Angebot die Stirn bieten. Wir dachten, es muss ein wenig Ironie, Sarkasmus her, um mit dem Thema Einwanderung und Migrantentum umzugehen. Die Zeit des Aufregens über Rassismus und Intoleranz ist vorbei. Unser „Stadl“ hat daher etwas von „Selbsttherapie“. Tunay ist als Münchener Kind in Bayern aufgewachsen und dort sehr aktiv, daher die Namenswahl. Außerdem soll dadurch der gesellige Aspekt betont werden. Wir verbinden damit eine positive Metapher im Sinne von „Deutschland als Migrantenstadl“, als Einwanderungsland, und das ist auch gut so. Wir wollen betonen, dass es eben so ist. Unser Aktivismus hat auch praktische Gründe, denn wir wollen uns nicht verstecken. Die Gastarbeiter und ihre Nachkommen sollen nicht mehr als „Gäste“, sondern als wichtiger Teil der deutschen Gesellschaft wahrgenommen werden. Dazu wollen wir beitragen. Über unsere eigentliche Zielgruppe hatten wir uns anfangs keine Gedanken gemacht. Sie ist bewusst nicht kategorisierbar. Wir selbst sind eher politisch-künstlerisch ausgerichtet, doch erst einmal gehört jeder, der uns liest, zu unserer Zielgruppe. Es ist schön, wenn Migranten, also Personen, die uns verstehen, zur Leserschaft gehören. Genauso freuen wir uns über deutsche Leser, die sich interessiert zeigen, aber auch kritisieren und bewerten.
Wie haben Sie reagiert, als Sie von der Nominierung erfuhren?
Das war ganz lustig. Ich wurde informiert und habe gleich versucht, meine Mitstreiterin Tunay Önder zu erreichen. Da sie nicht ans Telefon ging, mailte ich sie mit der Bitte um Rückruf an. Sie war gerade mit einer Projektarbeit in der Bibliothek beschäftigt, sah meine Anrufe in Abwesenheit und dachte natürlich im ersten Moment, es wäre etwa Schlimmes passiert. Als Frau Önder mich dann zurückrief und ich ihr die frohe Botschaft überbrachte, mussten wir beide lachen vor Freude und uns kam es total surreal vor. Wir hatten ja gar keine Ahnung, waren platt und aufgeregt. Wir kannten den Grimme Online Award bereits, er war uns vor allem durch das bereits ausgezeichnete MiGAZIN bekannt. Doch wir hatten in dieser Hinsicht niemals Ambitionen, sondern einzig daran gedacht, uns irgendwann einmal bei einer dotierten Preisausschreibung anzumelden, weil wir unser Projekt ja irgendwie finanzieren müssen. Das Ausmaß der Nominierung haben wir erst nach und nach realisiert und sehen es als riesengroße Ehre und Anerkennung. Es ist eine Bestätigung für das, was wir tun, und dafür, dass in dieser Hinsicht scheinbar Bedarf herrscht. Die Klickzahlen sind jedenfalls sofort in die Höhe geschossen, wir hatten einen neuen Rekord. Der gesteigerten Aufmerksamkeit sind wir uns durchaus bewusst, konsultieren uns jetzt gegenseitig intensiver vor jedem Post, schreiben aber immer noch, worauf wir Lust haben.
Was bedeutet die Nominierung für die zukünftige Entwicklung Ihres Angebots?
Die Entwicklung soll in Richtung zu mehr Größe gehen. Inhaltlich wollen wir so bleiben, wie wir sind, keine Kompromisse eingehen. Da liegen wir im Zwiespalt, beziehungsweise das ist auch eine Art Dilemma für uns. Denn wenn wir das Ganze größer machen oder Inhalte stark auf Facebook & Co verlagern, befürchten wir, uns durch Integration von Werbung, angepasstes Design usw. weg vom gewohnten Nischen- und Underground-Dasein in Richtung Mainstream zu bewegen. Denn dann muss man ja eventuell auch repräsentativ für bestimmte Sachen sein oder sich irgendwie einschränken – und genau das ist es, was wir nicht wollen. Wir versuchen daher eine gute Balance zwischen Bekanntheitsgrad und Wachstum zu finden. Jetzt erhalten wir infolge der Nominierung schon vermehrt Anrufe von Unterstützern, Freunden und z.T. auch Journalisten, die mitmachen wollen oder uns Anregungen für die Gestaltung der Seite geben. Bisher sind unsere Co-Autoren aber alles Leute, die wir sehr gut kennen und denen wir vertrauen. Ein Blog ist ja stets ein persönliches Ding und man muss miteinander auskommen. Wir sind da also noch etwas verhalten. Keineswegs wollen wir den Partizipanten aber vorschreiben, was sie schreiben sollen. Bei uns soll es kein festes Programm geben, wichtig ist nur die migrantische Perspektive.
Weitere Statements der anderen Nominierten finden Sie hier.
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