Virtuelle Streifzüge durch einen Geschichtsort
Die in der Kategorie Wissen und Bildung nominierte Website „Hotel Silber. Ein virtueller Geschichtsort“ entführt in rund 100 Jahren Bau- und Zeitgeschichte und macht verschiedene Räume virtuell zugänglich. Zeitgenössische Dokumente, Hintergrundinformationen und weiterführende Artikel machen das Angebot auch für Schulen attraktiv. Eigene Beiträge und Fragen an die beteiligten Historiker sind ausdrücklich erwünscht. Eine davon ist Sarah Stewart vom Haus der Geschichte Baden-Württemberg. Gemeinsam mit ihrem Kollegen Friedemann Rincke entwickelte sie Konzept und Texte und beschreibt, wie man im Hotel Silber auf Zeitreise gehen kann:
Was war der Anlass für die Konzeption Ihres Angebots?
Um das so genannte Hotel Silber wurde in den letzten Jahren eine kontroverse und emotionale Debatte geführt. Es ging um die historische Relevanz, den Erhalt und die Nutzung des bis 2011 vom Abriss bedrohten Gebäudes in der Stuttgarter Innenstadt. Da eine kritische Auseinandersetzung mit dem historischen Ort eine fundierte Kenntnis seiner spezifischen Geschichte voraussetzt, wollten wir mit dem „Virtuellen Geschichtsort“ einen jederzeit frei zugänglichen Informationsort schaffen, der zugleich ein Kommunikationsforum ist. Erstmals stellen wir nun einen umstrittenen historischen Ort virtuell dar und vermitteln seine spezifische Geschichte und Besonderheit optisch ansprechend sowie multimedial und interaktiv. Erstmals werden damit auch weit im Vorfeld einer Ausstellung die Ergebnisse intensiver Forschungsarbeit präsentiert – und so gleichzeitig ein Eindruck von möglichen Ansätzen, Themen und Geschichten für den geplanten „Erinnerungsort“ im Hotel Silber vermittelt.
Was und welche Zielgruppen wollen Sie damit erreichen?
Grundstein der Konzeption ist die Einbindung der Bürgerinnen und Bürger. Interessierte und Forschende sind dazu aufgerufen, sich zu Wort zu melden, Anregungen für weitere Personen oder ortsbezogene Recherchen zu geben und mit ihrem Wissen bzw. ihren Forschungsergebnissen die Seite zu ergänzen. Auf diese Weise können sie sich in den Erweiterungsprozess unserer Webseite und somit auch in den Prozess der Konzeption einer Ausstellung am historischen Ort im Hotel Silber einbringen. Mit außergewöhnlichen explorativen Elementen, wie dem auf der Grundlage von historischen Grundrissen erstellten „Virtuellen Ort“ oder dem „Netz der Gestapo“, sollen besonders junge Menschen angesprochen und ihr Interesse an Geschichte geweckt werden. Der multimediale Zugang ermöglicht zudem ein unkompliziertes Einbinden der Website in pädagogische Angebote oder den Schulunterricht.
Wie haben Sie reagiert, als Sie von der Nominierung erfuhren?
Wir haben uns riesig gefreut. Und tun das noch immer.
Was bedeutet die Nominierung für die zukünftige Entwicklung Ihres Angebots?
Die Nominierung hat ein Signal gesetzt und die Relevanz unseres Projekts erneut unterstrichen. Es soll ja nicht allein bei dem „Virtuellen Geschichtsort“ bleiben: Die Website ist vielmehr ein Schritt hin zu einem lebendigen, der historischen Vermittlung verpflichteten „Erinnerungsort“ im Hotel Silber. Momentan verhandeln das Land Baden-Württemberg und die Stadt Stuttgart aber noch über die Finanzierung dieser Einrichtung.
Weitere Statements der anderen Nominierte finden Sie hier.
Um das Hotel Silber wird seit einigen Jahren in Stuttgart und Baden-Württemberg gestritten. Auslöser war der geplante und eigentlich schon beschlossene Abriss des Gebäudes. Es sollte einem von der Firma Breuninger und dem Land Baden-Württemberg entwickelten, rund 50 000m² Geschossfläche umfassenden neuen Quartier für Geschäfte, Hotels und Ministerien weichen. Als Kompensation für den Verlust des historischen Gebäudes erklärte sich die Landesregierung bereit, im geplanten Neubau auf rund 400m² einen Erinnerungsort zur Geschichte der Gestapo in Württemberg-Hohenzollern zu finanzieren. Die Lösung fand keine ungeteilte Zustimmung. Eine Bürgerinitiative gründete sich 2008 mit dem Ziel, für den kompletten Erhalt des Gebäudes und die Errichtung eines größeren Erinnerungsorts einzutreten. Verschiedene Vereine und Organisationen aus dem Bereich der historisch-politischen Bildung und der Interessenvertretung ehemaliger Verfolgter schlossen sich diesem Ziel an. Sie entfalteten, auch getragen von der kämpferischen Stimmung rund um das Bahnprojekt »Stuttgart 21«, eine rege Öffentlichkeitsarbeit und wiesen mit öffentlichen Aktionen wie einer Menschenkette um das Hotel Silber auf ihr Anliegen hin.