Nominierte im Werkstattgespräch
„Was sich hier versammelt hat, ist so etwas wie der BVB der Medienlandschaft, sehr jung, sehr beweglich und hoch motiviert“, lobt der Direktor des Grimme-Instituts, Uwe Kammann, die 28 Nominierten zum Grimme Online Award 2013, die fast vollzählig zur Bekanntgabe der Nominierungen am 2. Mai nach Düsseldorf in die Landesanstalt für Medien gereist waren.
Die Nominierungskommission habe mit 28 Angeboten diesmal aus dem Vollen geschöpft, sich die Entscheidung angesichts der breit gefächerten Themen und der hohen Qualität dabei aber nicht leicht gemacht. „Hart aber herzlich wurde bis zum Schluss diskutiert, um eine adäquate Wahl zu treffen, wobei die Entscheidungen letztlich sehr knapp ausfielen“ versichert die Moderatorin der Veranstaltung, Brigitte Baetz. Die Medienjournalistin war selbst Mitglied der Nominierungskommission und erzählt, dass der Abschied von einigen „Lieblingen“ zwar schmerzhaft, aber unabdingbar gewesen sei.
Nach einer Präsentation der Nominierungen geben die Nominierten selbst Einblick in ihre Arbeit.
Nachhilfe aus der Schweiz – und aus dem Kiez
Ob er sich so ein Projekt wie Politnetz auch in Deutschland vorstellen könne, möchte Baetz etwa von Thomas Bigliel wissen. „Durchaus, immerhin ist die direktere politische Partizipation im Netz gerade im Kommen und gewinnt an Einfluss“, so Bigliel. Hier könne Deutschland noch etwas von der Schweiz lernen, wo die politische Beteiligung direkter und einfacher sei. Viel gelernt haben in den letzten Jahren die lokalen Informationsangebote im Netz – sie werden immer professioneller.
„Inzwischen gibt es sehr viele hyperlokale Nachrichtenportale“, leitet Baetz ein und fragt Philipp Schwörbel von den Prenzlauer Berg Nachrichten, „ob der Nutzerkreis nicht von vorneherein eingeschränkt ist und wie sich das überhaupt finanzieren lässt“. Philip Schwörbel konstatiert, dass die Finanzierungssituation von lokalen Zeitschriftenangeboten mitunter schwierig sei: „Klar werden Regional- und Lokalredaktionen zunehmend geschlossen, aber es wird einen Weg geben. Wir werden hoffentlich irgendwann davon leben können, befinden uns im Wachstum und sprechen berlinweit, aber auch überregional Kunden an und finanzieren uns momentan über Freundeskreisbeiträge“. Für das ein Nischenthema bedienende Rechercheportal fussballdoping.de sei es ebenfalls schwer, finanzielle Unterstützer und Mitarbeiter zu gewinnen, so der Journalist Daniel Drepper. Der Kioskforscher und Journalist Stefan Böhm glaubt aufgrund seiner breit gefächerten Leseerfahrungen auch an die Zukunft der Printmedien, insbesondere von Zeitschriften. „So kann ich auch zukünftig meine Neugier ausleben, das ist ungemein vielfältig und bietet Überraschungen“.
Europa: Von Krisen- und Datenmanagern
Was es denn heiße, ein Volontärsprojekt der Deutschen Welle auf die virtuelle Bühne zu bringen, beantwortet Greta Hamann von Plan B: „Wir haben versucht, ein aktuelles Thema in Europa einmal aus einem anderem Blickwinkel zu erzählen, dem der Betroffenen, der jungen Menschen selbst. Der Dreh und die Auslandsrecherche waren dementsprechend aufwändig“, aber immer noch preiswert, „da wir das ja als Volontäre gemacht haben“. Als ebenfalls aufwändiges Projekt, da langwierig, was die visuelle Aufbereitung von Daten angehe, kennzeichnet auch Stefan Plöchinger, Chefredakteur von Sueddeutsche.de, den Europa-Atlas. „Bei unseren Datenprojekten dauert die Umsetzung im Schnitt von einem halben bis zu einem Jahr“, so Plöchinger. Die provokante Frage von Brigitte Baetz, ob denn der „Datenjournalismus künftig als Heilmittel des Journalismus“ gelten könne, lässt Plöchinger offen. „Sicher sind nur die vielen Möglichkeiten. Der Europa-Atlas informiert wie nie bisher über Zusammenhänge und liefert noch Hintergrundinformation dazu“.
Mathematische, klassische und politische Klänge
Während der Diskussion kommt auch Johann Beurich von dorfuchs.de nicht umhin, seine kuriose Namenswahl zu erhellen. „‚Dor Fuchs‘, das ist einfach sächsisch für ‚der Fuchs‘ und der ist ja nun mal bekanntlich schlau“, so Beurich. Schon immer habe er gerne Lieder geschrieben, nur die Texte hätten gefehlt, weshalb er das Ganze einfach mit seiner Mathematikleidenschaft kombiniert habe. Viele Jugendliche empfinden nicht nur Mathematik, sondern auch klassische Musik als langweilig.
Stefan Malzew [stefansmusikworkshop.de], Chefdirigent der Neubrandenburgischen Philharmonie, hat dies oft hören müssen. „Ich möchte den jungen Leuten aber vermitteln, dass es nicht so ist. Die Workshops schlagen eine Brücke über die aktuelle Popmusik, sollen gegenseitige Entdeckungen sein und Parallelen aufzeigen“. Belohnt werde er mit positiven Kommentaren und hohen Klickzahlen sowie direkte Auftritte in Schulen. Selbst auf der Straße werde er mittlerweile erkannt. Über viele Rückmeldungen freut sich auch Solmaz Sohrabi von RAPutationTV, einer Online-Casting Show. „Doch spricht ein solches Angebot in Zeiten von DSDS & Co überhaupt noch ausreichend viele junge Leute an und melden sich vielleicht auch andere, politisch Interessierte?“, will Baetz wissen. „Ja, wir verstehen das Ganze hier nicht nur als Plattform für junge Rapper und deren politische Ansichten, sondern allgemein als Aktivierung Jugendlicher zur politischen Diskussion. Im Internet ist das nur interaktiver und die Reichweite größer als auf Veranstaltungen. Sogar von Regierungssprecher Steffen Seibert höchstpersönlich haben wir etwas gehört“, sagt Sohrabi.
Nutzer als Kommentatoren und Radiomacher
„Generell steht ja bei vielen der nominierten Angeboten die Beteiligung im Vordergrund“, stellt Baetz fest. Sei es bei marcel-ist-reif.de, wo man „selbst kommentieren kann, egal in welchem Dialekt“, oder bei detektor.fm. Auf die Frage, was Sie anders machen als andere Radios, entgegnet Markus Engert: „Ein Format, bei dem die Redaktion in den Hintergrund tritt, das keine Agenda hat, wo das Kollektiv der Hörer zentral ist, das ist Vox: Publica“. Er findet, dass das Radio im Netz bisher zu kurz gekommen sei. „Neu bei uns ist, dass Hörer über das Programm abstimmen und Beiträge selbst über eine App produzieren können“, so Engert. Genauso sieht Uwe Kamman in vox: Publica eine „Möglichkeit, das Medium Radio in die Zukunft zu retten bzw. anzureichern“. Wie man Radioformate auch für junge Zielgruppen interessant machen kann, zeigt der Was glaubst du denn? hr2-Kinderfunkkolleg. Hierbei werden interkulturelle und religiöse Themen in Podcasts, die Kinder und Jugendliche mit medienpädagogischer Unterstützung selbst erstellt haben, altersgerecht aufbereitet. Neben Hintergrundinformationen gibt es Sendungsmanuskripte, Spiele, mit denen das Zuhören und Hinhören trainiert wird, und Ideen für eigene „Hörstücke“.
Weder Opfer noch Helden
„Die richtigen Worte finden“, das ist das Anliegen von Leidmedien.de. „In der klassischen Berichterstattung dominieren immer noch gewisse Stereotype und diskriminierende Formulierungen, was behinderte Menschen betrifft. Besonders zwei Schemata kommen dabei in der Darstellung oft vor, nämlich entweder das als Held, wie bei den Paralympics, oder das als Opfer nach dem Motto „an den Rollstuhl gefesselt“ etc., d. h., wo der Fokus auf dem angeblichen Leid liegt. Wir aber wollen aufklären und Journalisten Tipps geben, wie sie besser formulieren können“, so Andi Weiland.
Das Netz philosophiert
Radio fürs Netz, das sind auch Podcasts – oft bedienen sie Nischenthemen, so wie das nominierte Angebot Soziopod. Auf die Frage, warum man gerade einen Podcast für philosophisch-soziologische Dialoge gewählt habe, meint Patrick Breitenbach von Soziopod: „Hauptanliegen ist uns der Spaß am Denken, wir wollen keine fertigen Antworten liefern, sondern im Netz einen interaktiven Prozess zum Mitdenken anregen, über wichtige Themen des Lebens, die aber bisher in den normalen Medien nur oberflächlich angeschnitten werden“. Selbst die Wissenschaft reagiere schon recht positiv auf die Netzphilosophen, und mancher Beitrag habe den Weg in Vorlesungen gefunden, so Breitenbach.
Keine Erinnerung darf verloren gehen
Altes retten und mit andern teilen, das will WDR Digit und zieht positive Bilanz: „Unser Ziel ist es, Verständnis für die Vergangenheit zu schaffen. Deshalb unterstützen wir gerade die Gruppe der Älteren, die zwar teilen will, aber nicht in der Lage ist, ihr altes Bildmaterial zu digitalisieren. Dabei verstehen wir uns jedoch nicht als Historiker, vielmehr als Geschichtensammler, denn hinter jedem Bild versteckt sich eine Story“, so Stefan Domke. „Ihnen scheinen die Leute ja die Bude einzurennen, haben Sie mit diesem Erfolg gerechnet und wie wählen Sie aus, aus was Sie eine Geschichte machen?“, fragt ihn Baetz. „Schon über 5000 Fotos, 700 Videos haben wir gerettet. Natürlich ist es schwierig da zu selektieren. Aber es kommen tolle Geschichten heraus, wie die eines nigerianischen Gaststudenten, der darüber seine Gastfamilie wieder fand“.
Kunst und historische Zeitreisen per Mausklick
Offline-Inhalte in neuer Form zugänglich machen, das ist auch das Anliegen der museumsplattform nrw. Ob er denn keine Angst habe, dass dann niemand mehr ins Museum gehe, richtet sich Baetz an Christian Esch. „Nein, Ziel ist es, erst einmal die bestehende Hermetik der Museen aufzubrechen und Kunst zugänglich zu machen und damit letztlich die Aktivierung für einen Museumsbesuch“, so Esch. Einen besonderen Weg der geschichtlichen Aufbereitung beschreitet der virtuelle Ort Hotel Silber. Die Initiative zu diesem Projekt geht „auch stark von älteren Bürgern aus und war eben nicht nur für junge Leute konzipiert“, meint Friedemann Rincke auf Baetz‘ Nachfrage, ob es sich um eine Möglichkeit handele, vor allem jüngere Nutzer für Geschichte zu interessieren. „Und wie kamen Börsenjournalisten darauf, ausgerechnet etwas über Faust zu machen?“, fragt Baetz Burghard Schnödewind, Börsenjournalist vom Hessischen Rundfunk, „um die Finanzkrise besser zu verstehen?“ „Obwohl es auf den ersten Blick nicht so wirkt, weist FAUST_II_PUNKT_NULL wahnsinnige Parallelen zur heutigen Finanzwelt auf. Über die beiden verschiedenen Infowege, boerse.ard und das Goethehaus, erreichen wir nebenbei auch ganz verschiedene Adressaten“, erwidert Schnödewind.
Premiere und Frischzellenkur
„Mit #aufschrei hat die Kommission in diesem Jahr erstmals einen Hashtag nominiert. Die Nutzung dieses wirkungsvollen Werkzeugs hat ja für viel Furore gesorgt. War diese überwältigende Zahl an Tweets
überraschend und haben Medien und die Öffentlichkeit das ernst genommen?“, fragt Baetz Jasna Strick. „Ja und Nein. Das Ganze hat ja eine wahre Berichtlawine über Alltagssexismus losgetreten und ein großes Echo in Medien, Politik und Gesellschaft ausgelöst. Wir haben in der Folge sogar einen eigenen Blog eingerichtet, wo Frauen weiter ihre Erfahrungen teilen können“, so Strick. Der Twitter-Erfolg von #aufschrei habe auch Vorjahreslaudator Richard Gutjahr, der für seine persönlichen Leistungen und Beiträge in der Online-Welt nominiert wurde, nicht sonderlich überrascht: „Das ist keine Spielerei, sondern eine sinnvolle Sache, eine Frischzellenkur“. Außerdem beobachte er besonders, dass in diesem Jahr viele öffentlich-rechtliche Angebote nominiert seien. „Wichtig, ja unsere Aufgabe ist es, sich nicht primär am Geld zu orientieren, sondern auch spezielle Themen anzugehen, die in der normalen Berichterstattung durchfallen“, so Gutjahr. Diesem Anspruch scheinen auch die Vertreter von dasmigrantenstadl zu folgen: „Wir hatten einfach Lust, etwas zu machen, was wir für richtig halten und uns Spaß macht, aus dem migrantischem Dunstkreis heraus, nur mal anders“, sagt Tunay Önder.
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