Blogs und journalistische Medienangebote – Blogs als Paralleluniversum?
Blogger leisten oft wichtige Recherchearbeit und intensive Berichterstattung – auch dafür werden Blogs für einen Grimme Online Award nominiert, wie in diesem Jahr „fussballdoping.de„, oder mit dem Preis ausgezeichnet, so zum Beispiel „Zukunft Mobilität“ im Jahr 2012. Wie sehr aber orientieren sich Journalisten an den Inhalten von Blogs. Und greifen Blogger die Berichterstattung anderer Medienangebote auf – oder leben sie in einem journalistischen Paralleluniversum?
Gastautor Christian Nuernbergk von der Ludwig-Maximilians-Universität München hat dies recherchiert.
Die meisten Blogger betrieben nur wenig Eigenrecherche. Sie bildeten einen Resonanzraum der etablierten Medien, schrieben über ähnliche oder gleiche Themen und seien für ihre Beiträge von deren Berichterstattung abhängig. Dadurch werde das in den Medienangeboten ohnehin beschränkte Set an Themen und Sprechern von ihnen reproduziert – aber kaum erweitert. Zu einer solch kritischen Einschätzung gelangte der amerikanische Kommunikationswissenschaftler Tanni Haas vor einigen Jahren in einem ernüchternden Forschungsüberblick. Fehlen also in Blogs tendenziell vielfältige Sets an Quellen sowie Kontrastierungen und Vergleiche? Sind Blogs kein Ort „multiperspektivischer Berichterstattung“? Lassen Blogs Medienkritik vermissen? Letzteres ist nach allem, was im Diskurs über das Verhältnis zwischen Weblogs und Journalismus in den letzten Jahren beobachtbar war, vermutlich eher nicht der Fall. Die Frage ist allerdings, ob diese Leistungen im positiven Sinn lediglich durch einige prominentere medienkritische Blogs erbracht werden und nicht etwa auch auf einen größeren Teil der „Blogosphäre“ zutreffen. Darüber hinaus wäre es spannend danach zu fragen, ob der Journalismus seinerseits auch auf solche Formen der Kritik in Weblogs reagiert.
Die Orientierung über Informationen ist im Internet eine wichtige Leistung. Statt einem Mangel an Verbreitungskapazität wie in den traditionellen Medien Presse und Rundfunk, besteht dort eine „Knappheit an Aufmerksamkeit und Urteilsvermögen“ (Christoph Neuberger), um mit der Datenfülle umzugehen und um diese zu bewerten. Die Qualität des Angebots kann durch den offenen kommunikativen Zugang stark schwanken. Nicht die Vielfalt der verfügbaren Informationen ist dabei als ein Problem zu begreifen, sondern der Mangel an Möglichkeiten, diese ohne stark steigende Entscheidungskosten so zu filtern, dass die Relevanz, Aktualität und Glaubwürdigkeit der Informationen aus der Perspektive eines einzelnen Nutzers gesichert ist. Um eine Kakophonie in der öffentlichen Kommunikation zu vermeiden, werden auch weiterhin Vermittler benötigt. Ihre Prüf-, Filter- und Orientierungsleistungen ermöglichen, dass die Netzwerköffentlichkeit im Internet ihre Funktionsfähigkeit nicht in einer chaotischen Struktur verliert. Nicht nur journalistische Vermittler können die genannten Leistungen erbringen, sondern auch Nutzer, die sich im Internet vernetzen und Informationen erstellen und teilen.
Generell sind Medieninhalte im Social Web eine beliebte Informationsquelle: Social News-Dienste wie 10.000flies.de verfolgen, wie oft bestimmte Nachrichten von den Nutzern geteilt und empfohlen werden. Auch die Rubrik „Facebook-Twitter-Presseschau“ auf sueddeutsche.de gibt einen Eindruck davon, dass Empfehlungen von Nachrichteninhalten kein seltenes Phänomen sind. Nutzerbefragungen wie die des amerikanischen Pew Internet & American Life Project zeigen, dass sich bereits fast zwei Fünftel der Internetnutzer an der Kommentierung und Verbreitung von Nachrichten beteiligt haben. Auch weisen Medienmarken nach den Daten der Allensbacher Computer- und Technikanalyse (ACTA 2012) unter den Nutzern sozialer Netzwerke eine überdurchschnittliche Reichweite auf. Wie aber gehen Blogger mit Medieninformationen um? Blogs als Format sind sehr vielfältig und können sehr unterschiedliche Arten von Informationen und Inhalten aufweisen. Die Blogforschung zeigt, dass neben weiter verbreiteten tagebuchähnlichen Formen auch sogenannte „Filter Blogs“ existieren, in denen vorwiegend über Informationen aus dem Web orientiert wird und diese kommentiert werden. Allerdings gibt es mit dem Microblogging-Dienst Twitter mittlerweile eine attraktive Konkurrenz, um zumindest in Kurzform Inhalte zu teilen und zu kommentieren („zwitschern statt bellen“). Dies mag dazu führen, dass heute weniger Weblogs existieren, die lediglich Links sammeln ohne diese ausführlicher zu besprechen. Die Befunde der Blogforschung sind in Bezug auf die eingangs zitierten Fragen allerdings widersprüchlich. Eine Befragung amerikanischer A-List-Blogger im Politikbereich ergab, dass diese mit ihrem eigenen Angebot vor allem die folgenden drei Motive verfolgen: (1) „Eine alternative Perspektive zu den Mainstream-Medien bieten“, (2) „Das Publikum über die aus ihrer Sicht relevantesten Themen informieren“ sowie (3) „Die Beeinflussung öffentlicher Meinung“. Aus Deutschland gibt es keine vergleichbaren Ergebnisse, aber Befunde einer Bloggerbefragung, die anzeigt, dass vor allem Männer eher eigene Kommentare zu politischen Themen veröffentlichen als Frauen (54% zu 29%). Zudem präferieren sie eher den »Filter Blog«-Stil; sie verlinken auch öfter »Fundstücke im Netz« mit eigenem Kommentar als Frauen (68% zu 49%).
Journalisten suchen im Internet nach Themenideen, sie greifen dabei auf die Inhalte sozialer Medien zurück und informieren über Stimmungsbilder aus dem „Social Web“: Eine Befragung von Internetredaktionsleitern im Jahr 2010 zeigt, dass Weblogs als Recherchemittel ihren Stellenwert neben Facebook und Twitter nicht einbüßen. So wurden Blogs durch 30% der Journalisten noch vor »sozialen Netzwerken« (22%) und Twitter (12%) als »häufig« genutzte Recherchemittel angegeben.
Welche Befunde gibt es aber zu der wechselseitigen Anschlusskommunikation zwischen Weblogs und journalistischen Angeboten? Hier zeigt mein aktuelles Buch „Anschlusskommunikation in der Netzwerköffentlichkeit“ in einer empirischen Analyse für Deutschland, in der ich die Vernetzung zwischen 323 Weblogs, Spiegel Online und Indymedia (de.indymedia.org) ausgewertet habe, dass (in der journalistischen Arbeit) kaum eine Orientierung an Weblogs stattfindet. Abgesehen von einem Beitrag mit dem Titel „Die Links der Linken“ kam dies praktisch nicht in der Berichterstattung auf Spiegel Online vor (1%, n=187). Auch die alternative Nutzerplattform Indymedia interessierte sich selten für das Geschehen in den Weblogs: In weniger als jedem zehnten Beitrag (9%, n=267) wird dort ein Bezug zu namentlich genannten Weblogs oder anderen partizipativen Angeboten hergestellt. Die Ergebnisse überraschten etwas, da Weblogs gerade im Kontext des G8-Gipfels von Heiligendamm, dessen Berichterstattung und Anschlusskommunikation hier vom 28. Mai bis 10. Juni 2007 analysiert wurde, im Nachhinein Korrekturleistungen und wichtige alternative Perspektiven, z. B. seitens der Deutschen Journalistinnen und Journalisten-Union (dju), zugeschrieben wurden. Umso mehr lohnte es sich, die Filterleistungen der Blogger selbst in den Blick zu nehmen und die Qualität ihrer Perspektiven zu prüfen: Die Weblogs, die Anschlusskommunikation zu den genannten Medien herstellen, waren untereinander allerdings ebenfalls weniger durch ihre eigenen Postings verbunden als angenommen. Im Durchschnitt erhielt jedes Blog nur 0,4 distinkte Links von anderen Bloggern. Es bestanden 115 Verbindungen. Trotzdem kristallisierte sich innerhalb der Anschlusskommunikation schnell ein Zentrum heraus (vgl. Abbildung). Es handelte sich hierbei teilweise um prominentere deutsche »A-List«-Blogs: spiegelfechter.com (23 eingehende Links), spreeblick.com (14), stefan-niggemeier.de (13), lawblog.de (6) sowie blog.pantoffelpunk.de (4). Die übrigen Blogger filterten also Informationen aus diesen Blogs hervor; ein Indiz für eine kooperative Form der Zusammenarbeit. Am häufigsten wurde der Spiegelfechter von ihnen für seine ausführlich dokumentierten, medienkritischen Darstellungen gelobt (in 13 Verlinkungen des Angebots). Betont wurden etwa seine „gute Beobachtungsgabe“ sowie die „tolle Übersicht der Verfehlungen der Medien“. Eine Medienkritik namentlich genannter Medienangebote fand sich in 14% aller untersuchten Blogpostings (n=423). Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass die intensive Verlinkung von Medienbeiträgen nicht automatisch als Zustimmung in der „Blogosphäre“ gewertet werden kann. Alternative inhaltliche Deutungen wurden in den Weblogs (19%, n=414) insgesamt sogar häufiger kommuniziert als bei Indymedia. Vor allem die falsche Gewichtung von Informationen und die Verbreitung von Falschmeldungen über die Gipfelproteste wurden in der „Blogosphäre“ angesprochen. Selbst boten die Blogger mit ihrer Sicht der Dinge so eine Erweiterung der etablierten medialen Perspektive. Ihre eigene Perspektive war allerdings für sich genommen vergleichsweise einseitig und auch stark wertend. Inhaltlich spielte die Arbeit auf dem Gipfel keine Rolle. In ihrem Fokus standen der Protest, die Polizeigewalt sowie die umstrittene Medienberichterstattung darüber.
Eine „Kooperation“ unter den Nutzern muss also keineswegs immer zu einem ausgewogenen Ergebnis führen. Unter dem Strich sind die schnellen Korrekturen der fehlerhaften Agenturmeldungen allerdings auch als eine wichtige Leistung zu betrachten. Offen bleibt vorerst die Frage, inwieweit solche kritischen Resonanzen in einem aktuellen Journalismus nicht nur zur Kenntnis genommen, sondern auch gespiegelt werden.
Weitere Informationen:
Nuernbergk, Christian (2013): Anschlusskommunikation in der Netzwerköffentlichkeit. Nomos: Baden-Baden
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