Erzählen über Mediengrenzen hinweg
Die Bandbreite an interaktiven Unterhaltungsformaten ist in den letzten Jahren immer größer geworden. Damit hat sich eine vollkommen neue Kreativ-Disziplin entwickelt, denn die Art wie Geschichten konstruiert und transportiert werden, unterscheidet sich in einem transmedialen Umfeld grundlegend von der ehemals linearen Erzählstruktur.
Ein Gastbeitrag von Claudia Pelzer, die das UFA Lab in Köln mit aufbaut und das Business Development für den Bereich Start-Ups und Innovation verantwortet.
Stumpf von Kanal zu Kanal zappen? In der Werbepause zum Kühlschrank? Das war einmal. Gerade jüngere Nutzer haben sich schon heute vom klassischen Fernsehen verabschiedet, sie sehen ihre Fernsehsendungen im Netz und nutzen intensiv den „Second Screen“. Sich passiv unterhalten lassen – das war einmal. Vielmehr steuern verschiedene Mediengattungen und Plattformen ihren Teil, ihre ureigene Sprache und Anmutung zur finalen Geschichte bei. Unter digitalem Storytelling vesteht man dabei die Verknüpfung von narrativen mit digitalen Inhalten, beispielsweise verschiedenen Bild-, Sound- und Videoelementen – meist in Verbindung mit einer stark ausgeprägten emotionalen Komponente. Oftmals finden sich auch instruktive, wissensvermittelnde Elemente in dieser Art von Geschichten wieder – nicht zuletzt deswegen eine ideale Kombination, weil der Storyteller sich selbst sehr eingehend mit dem Thema und der Sichtweise des Nutzers auseinandersetzen muss. In ihrer ausgefeiltesten, transmedialen Form erstrecken sich die digitalen Storys parallel über verschiedene Mediengattungen hinweg, spielen mit den Übergängen und Sprüngen von einem Medium ins andere, immer bemüht den Erzählfaden nicht zu verlieren und dennoch dem Publikum ein möglichst abwechslungsreiches Erlebnis zu bieten. Dabei wird geschaut, welches Medium sich für welche Etappe der Geschichte am besten eignet, es können Hintergrundinformationen geliefert oder die Charaktere ausgefeilter gezeichnet werden. Die unterschiedlichen Medien bieten unter Umständen verschiedene Perspektiven – und das Erlebnis kann sogar bis in die Realität transportiert werden. So wird der Zuschauer Teil der Story, kann sich aktiv einbringen und möglicherweise sogar den Verlauf beeinflussen. Das wiederum birgt ganz andere Möglichkeiten des Austauschs über das Erlebte – die getwitterte Vermutung darüber, wer den Mord im Krimi begangen haben könnte, bekommt eine viel höhere Relevanz, wenn der Zuschauer selbst zum Ermittler wird.
Ermittlungen im Mordfall Vasco
Ein Beispiel für ein sehr umfassendes transmediales Erzählkonstrukt, das eine medienübergreifende Storyworld aufgebaut hat und gleichzeitig Informationen – zum Thema Datenschutz im Netz – transportiert, ist der Internetkrimi „Wer rettet Dina Foxx?“ (produziert von teamWorx und dem UFA Lab für das ZDF). Story und Medium beginnen hier immer mehr miteinander zu verschmelzen, gleichermaßen Fiktion und Realität. Die TV-Story drehte sich zunächst um die selbsternannte Datenschutz-Superheldin ‚Datagrrl’ alias Dina Foxx, die beschuldigt wird, ihren Freund Vasco ermordet zu haben. Diese Geschichte wurde zunächst im „kleinen Fernsehspiel“ erzählt, einer Sendereihe im ZDF, in der experimentelle Filme von Nachwuchsfilm- und -fernsehregisseuren aus dem fiktionalen oder dokumentarischen Bereich gezeigt werden. Als der Fernsehkrimi abbrach, startete der interaktive Krimi auf der Website. Drei Wochen lang ermittelten die Zuschauer alleine oder zusammen mit anderen Internetnutzern. Dina Foxx’ Wohnung wurde dort zum Datenschutzraum, in dem es galt online Spuren zu sammeln und so zur Klärung des Falls beizutragen. Gleichzeitig konnten sich die Nutzer auf der Site spielerisch über das Thema Datenschutz informieren. Insgesamt bestand der interaktive Krimi aus 20 Websites, 30 Social-Media Profilen, 55 Online-Videos mit mehreren Stunden Spieldauer, 30 Audio-Beiträgen sowie zahlreichen Fotos, einem Online-Spiel und versteckten USB Sticks, die von den Usern per Geocaching gefunden werden mussten. Damit wurde die Geschichte nicht nur in einem 360 Grad Rahmen erzählt, sondern der Zuschauer aktiv sowohl online als auch offline in den Verlauf mit eingebunden. Alle Elemente der Geschichte wurden von Anfang an für TV und Internet gleichberechtigt entwickelt und produziert.
Die Story wird damit zum Medium, das Medium zur Story. Strategisch sind diese komplexen Projekte nicht nur immer wichtiger für die innovationsgetriebene Entertainmentbranche, sie erfordern auch eine völlig neue Heransgehensweise bei der Konzeption und Produktion. „Dina Foxx ist das Ergebnis eines komplett neuen interdisziplinären Development- und Produktionsansatzes, den wir zusammen mit unseren Produktionsfirmen im UFA Lab entwickelt haben, und an der wir uns nun bei der Entwicklung anderer transmedialer TV-Formate orientieren können.“ so Jens-Uwe Bornemann, Vice President Digital Ventures & Innovation der UFA.
Was die Inhalte betrifft, so fördert die neue Komplexität sogar das menschliche Denkvermögen. Steven Johnson, Autor von „Neue Intelligenz“ verglich in einer Studie den erzählerischen Aufbau von TV-Serien der 1970er Jahre mit denen aktueller Staffeln von Serien wie „Lost“. „24“ oder „Game of Thrones“ und fand heraus, dass die Vielschichtigkeit der Handlungsstränge unsere kognitiven Fähigkeiten und unser Gedächtnis trainiert, sowie die Befähigung zu logischem Denken begünstigt. Intelligentes Storytelling macht demnach nicht nur Spaß, sondern auch schlau.
Über das UFA Lab
Das UFA Lab an den Standorten Berlin Kreuzberg und Köln ist ein Content-Labor für Neue Medien, ein Inkubator/Accelerator für Start-Ups und gleichzeitig eine offene Innovations-Plattform für die digitale Entertainmentbranche. Eine der Hauptaufgaben ist die kollaborative Entwicklung neuer innovativer Inhalte und Geschäftsmodelle. Daneben dient das Lab als ein Brutkasten für branchenübergreifende Content-Konzepte mit der Kreativ- und Entertainmentindustrie sowie als urbane Begegnungsstätte für Kreativschaffende.
Hinterlasse einen Kommentar
An der Diskussion beteiligen?Hinterlasse uns deinen Kommentar!